Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Bayern im Juni 2018

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Bayern im Juni 2018. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 6
Prüfungsgespräch 12
Endnote 8
Endnote (1. Examen) 10

Zur Sache:

Prüfungsstoff: protokollfest

Prüfungsthemen: Mietmängel (Straßenlärm), Mietvertrag nach Tod des Mieters, Widerklage, Versäumnisurteil

Paragraphen: §535 BGB, §536 BGB, §563a BGB, §33 ZPO, §331 ZPO

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort Diskussion, Intensivbefragung Einzelner, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Zu Beginn der Prüfung wies die Prüferin darauf hin, dass sie keine Meldungen wünsche. Wenn sie der Meinung sei, eine Frage könne freigegeben werden, dann werde sie das tun. In wenigen Fällen war es dann möglich, die Prüferin durch bloße Blickaufnahme zu signalisieren, dass man die Antwort weiß und zu antworten bereit ist.
Zu Beginn der Prüfung teilte die Prüferin einen Fall aus und las diesen dann vor. Dieser Fall hatte etwa folgenden Inhalt:
Sie sind Rechtsanwalt / Rechtsanwältin und zu Ihnen kommt eine Mandantin, Frau H.. Frau H. schildert, dass sie Eigentümerin einer Wohnung in München ist. Diese Wohnung ist seit 10 Jahren an Frau U. vermietet. Normalerweise liegt die Wohnung in einem ruhigen Wohngebiet. Nun aber wird aufgrund einer Baustelle der Verkehr an der besagten Wohnung vorbeigeleitet. Frau U. hat deshalb die Mietzahlung gekürzt. Was ist Frau H. nun zu raten?
Zuerst wurde festgestellt, dass ein Mietvertrag vorliegt, § 535 BGB. Zutreffend wies die geprüfte Kandidatin darauf hin, dass es sich um einen Wohnraummietvertrag nach § 549 BGB handelt, für den nach § 549 I BGB jedoch die §§ 535 bis 548 BGB gelten. Im Grundsatz besteht ein Anspruch auf Bezahlung der vereinbarten Miete aus § 535 II BGB.
Weiter wurde entwickelt, dass Frau U. möglicherweise die Miete nach § 536 BGB gemindert haben könnte. Die Prüferin wollte dazu wissen, was denn ein Mangel sei. Ein Mangel ist jede für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustands der Mietsache (Ist-Zustand) vom vertraglich vorausgesetzten Zustand (Soll-Zustand). Dabei kam es die Prüferin insbesondere darauf an, dass im Mietrecht der Soll-Zustand durch den vertraglich vorausgesetzten Zustand bestimmt wird. Dazu wollte sie das Schlagwort „subjektiver Mangelbegriff“ hören, das eine Kandidatin auch beizutragen wusste.
Danach wurden alle Prüflinge befragt, ob sie hier einen Mangel annehmen würden und was sie für Argumente für ihre jeweilige Ansicht hätten. Dabei wurde insbesondere die Frage aufgeworfen, ob die Parteien des Mietvertrags die „ruhige Lage“ als Grundlage ihres Vertrages gesehen hätten. Während die Mieterin dies sicherlich schon so sehe und sich die Wohnung vielleicht gerade deshalb ausgewählt habe, werde die Vermieterin sagen, dass sie dies nicht so sehe. Es sei lediglich der Wohnraum vermietet worden und dieser könne nach wie vor gebraucht werden, vgl. § 535 I 1 BGB. Man könne aber auch sagen, dass die „ruhige Lage“ objektiv wahrnehmbar sei und deshalb von beiden Parteien sozusagen zur Grundlage des Vertrages gemacht worden sei.
Als weiteres Kriterium für oder gegen das Vorliegen eines Mangels wurde genannt, ob der Vermieter Einfluss auf die Beeinträchtigung nehmen könne. Eine Kandidatin meinte, dass dies bei Beeinträchtigungen aus der Nachbarschaft sehr wohl der Fall sei, da sich der Eigentümer nach § 1004 BGB i. V. m. § 906 BGB wehren könne. Dem widersprach der nächste Prüfling im konkreten Fall, da es sich hier um Verkehrslärm auf einer öffentlichen Straße handeln würde, wofür die Normen des öffentlichen Rechts vorrangig seien.
Jedenfalls – so wurde noch einmal geschlossen – müsse der Mietvertrag nach §§ 133, 157 BGB ausgelegt werden, ob hier eine Überlassung ohne den Verkehrslärm geschuldet sei oder lediglich die Überlassung des Wohnraumes unabhängig vom Verkehrslärm.
Eine Kandidatin prüfte weiter an, ob es sich um eine zugesicherte Eigenschaft nach § 536 II BGB handeln könnte. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall.
Dem Fall lag ein BGH-Fall zugrunde, bei dem das Gericht entgegen den Vorinstanzen keine entsprechende vertragliche Vereinbarung und dementsprechend keinen Grund zur Mietminderung gesehen hat.

Danach teilte die Prüferin einen weiteren Fall aus:
Frau H. hat noch eine weitere Wohnung. Diese ist an das Ehepaar M. vermietet. Ein schriftlicher Mietvertrag existiert jedoch nicht. Herr M. ist am 15.04.2018 verstorben. Noch auf der Beerdigung sagt Frau M. zu Frau H., dass sie an dem Mietvertrag nicht mehr festhalten wolle. Seitdem ist keine Mietzahlung mehr eingegangen. Am 15.05.2018 erreicht Frau H. ein Schreiben der Frau M., indem diese äußert, sie sehe den Mietvertrag nun nach dem Tod ihres Mannes als nichtig an, benötige die Wohnung nicht mehr und werde keine Mietzahlungen mehr leisten. Was ist Frau H. zu raten?
Frau H. hat einen Anspruch auf Zahlung des Mietzinses nach § 535 II BGB, sofern das Mietverhältnis nicht beendet worden ist. Es wurde festgestellt, dass das Mietverhältnis nach § 550 BGB auf unbestimmte Zeit gilt. Danach kamen wir auf die Spezialvorschriften der §§ 563 ff. BGB. Wir stellten fest, dass § 563 BGB dann gilt, wenn nur der verstorbene Ehegatte Mieter ist. Hier aber waren beide Ehegatten Mieter. Hier gilt daher § 563a BGB. Danach wird das Mietverhältnis mit den überlebenden Mietern, also mit Frau H., fortgesetzt, § 563a BGB. Diese können das Mietverhältnis aber nach § 563a II BGB außerordentlich mit der gesetzlichen Frist kündigen.
Im mündlichen Erklären auf der Beerdigung kann jedenfalls keine Kündigung gesehen werden, da diese beim Wohnraummietvertrag nach § 568 BGB schriftlich erfolgen muss.
Das Schreiben der Frau M. ist allerdings unter Berücksichtigung der Laienperspektive der Frau als Kündigung auszulegen nach § 133 BGB. Dabei wollte die Prüferin wissen, was die Rechtsnatur einer Kündigung ist: einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Wichtig war es ihr, dass die Kündigung daher nur nach § 133 BGB und nicht etwa auch nach § 157 BGB ausgelegt wird.
Die Prüferin wollte dann eine Fristprüfung des § 563a BGB. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Frist, binnen derer gekündigt werden muss (1 Monat) und der Frist, nach der dann das Mietverhältnis endet.
Die Frist, binnen derer gekündigt werden muss, begann als Ereignisfrist nach § 187 I BGB am 16.04.2018 und endete nach § 188 II 1. Alt. BGB am 15.05.2018. Die Kündigung wurde also fristgemäß erklärt.
Die Kündigung erfolgt dann außerordentlich mit der gesetzlichen Frist. Diese bestimmt sich bei Mietverhältnissen über Wohnraum nach § 573d BGB. Die Kündigung ist nach § 573d II 1 BGB spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig.
Der dritte Werktag eines Kalendermonats ist für den Mai schon vorüber. Es zählt also der dritte Werktag des Juni. Das Mietverhältnis dauert somit bis 31. August 2018. Solange kann auch noch Mietzahlung verlangt werden.
Die Prüferin teilte nun einen dritten Zettel mit folgenden Informationen aus: Frau M. hat Frau H. auf die Feststellung verklagt, dass das Mietverhältnis spätestens zum 15.05.2018 erloschen sei. Was ist Frau H. zu raten?
Eine Kandidatin kam auf die Idee, Widerklage zu erheben, § 33 ZPO. Dabei wollte die Prüferin wissen, welche Vorteile eine Widerklage mit sich bringt (zusätzlicher Gerichtsstand nach § 33 ZPO, vor allem aber auch, dass nach § 12 II GKG kein Gerichtskostenvorschuss geleistet werden muss).
Ein Kandidat nannte als weiteres notwendiges Vorgehen eine Klageerwiderung. Die Prüferin wollte wissen, welche zwei Möglichkeiten es gebe, wenn eine Klage eingereicht worden sei (Früher erster Termin, § 275 ZPO, und schriftliches Vorverfahren, § 276 ZPO). Im schriftlichen Vorverfahren muss binnen einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Klageschrift eine Verteidigungsanzeige erfolgen. Ansonsten ergeht gegen den Beklagten ein Versäumnisurteil nach § 331 III ZPO.
Weiter wollte die Prüferin wissen, was durch die Erhebung der Widerklage mit der ursprünglichen Klage passiert. Bei der ursprünglichen Klage handelt es sich um eine Feststellungsklage. Deren Feststellungsinteresse entfällt, da die Klage auf Mietzahlung das Bestehen eines Mietverhältnisses voraussetzt und somit über die Feststellungsklage hinausgeht. Die ursprüngliche Klage wird dadurch unzulässig.
Was wäre der Frau M. also zu raten? Erledigt-Erklärung der Klage.
Die ausgeteilten Fälle wurden nach der Prüfung wieder eingesammelt.