Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Niedersachsen im September 2018. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsgespräch:
Zunächst ließ der Prüfer uns reihum die Prozessmaximen des Strafprozesses aufzählen. Jeder sollte kurz eine Maxime erläutern und auch den § bzw. Art. nennen, aus dem diese Maxime hergeleitet wird. Dieses Spiel lief so lange, bis keiner mehr eine Maxime nennen konnte. Besonders gefallen hat ihm der Hinweis auf das Fair-Trial-Prinzip aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Außerdem hätte er wohl noch gerne das Konfrontationsrecht aus Art. 6 Abs. 3 EMRK gehört, was wohl in der aktuellen Praxis eine große Rolle spielen soll. Dies hat zwar keiner von uns gewusst, es schien für ihn jedoch auch über das verwertbare Wissen hinauszugehen.
Der Prüfer schilderte danach folgenden Fall, den er vor kurzem so oder so ähnlich verhandelt hat:
A, der im Mai 1998 geboren wurde und sein Bruder H, der 1989 in der Türkei geboren wurde begehen am 9. August 2017 folgende Tat in Hannover:
Gemeinsam schlugen sie auf die Opfer Tomek und Tobias ein. Der A hatte dabei einen nicht näher definierbaren metallischen Gegenstand in der geballten Faust. Als Tobias am Boden lag, trat ihm der H drei Mal gegen den Kopf, wodurch dieser einen Bruch des Unterkiefers erlitt, der operativ gerichtet werden musste.
Wir sprachen in der Falllösung zunächst über die Nr. 1, 2 und 5 von § 224 StGB. Anschließend wurde von den Prüflingen erwartet, dass sie die Straferwartung begründet. Der Prüfer warf noch ein, dass der H schon mehrfach vorbestraft sei, auch einschlägig, der A bisher jedoch strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist. Es galt hierbei zu erkennen, dass A noch Heranwachsender gem. § 105 JGG ist, so dass die Verhandlung vor dem Jugendrichter oder dem Jugendschöffengericht statt zu finden hat. Da es sich hier um eine prozessuale Tat handelt, macht es Sinn beide Täter gemeinsam anzuklagen. Aufgrund der hohen Straferwartung für den vorbestraften H hat dies dann aufgrund der Strafgewalt vor dem Jugendschöffengericht zu erfolgen.
Der Prüfer fragte anschließend nach den besonderen Erziehungsmitteln im Jugendstrafrecht und warum dieses überhaupt gesondert gilt (Erziehungscharakter, noch größere Einwirkungsmöglichkeiten als bei Erwachsenen, Präventionsgedanke)
Anschließend schilderte der Prüfer noch einen weiteren Fall:
Die drei Beteiligten (A, B und C) verabreden sich, eine Bank zu überfallen. A ist Student und macht sein Sommerpraktikum in einer Filiale der Commerzbank. Über eine Hintertür lässt sich in dieser Filiale der Geldbombenraum erreichen. A hat im Rahmen seines Praktikums den Code für die elektrische Schließanlage der Hintertür ausgespäht.
Die drei verabreden, dass A das Fluchtauto fahren soll und draußen vor der Bank warten soll, während B und C drinnen – nach dem Betreten der Bank durch die Hintertür – die dortigen Bankmitarbeiter mit einem Teleskopschlagstock überwältigen wollen und das Geld an sich nehmen sollen, bevor der Alarm ertönt.
Eine Woche nach der gemeinsamen Besprechung zwischen A, B und C fährt der A für einen dreiwöchigen Urlaub in die Türkei.
Währenddessen beschließen A und B gemeinsam mit dem Dritten D (der nun den Fluchtwagen fahren soll), den Plan in die Tat umzusetzen. Es geschieht wie vereinbart, jedoch verletzt der B den Bankmitarbeiter M so schwer, dass dieser bleibende Hirnschäden davon trägt und dauerhaft Arbeitsunfähig ist.
Als A aus dem Türkeiurlaub zurückkehrt wird er noch am Flughafen Hannover von der Polizei festgenommen.
Strafbarkeit der Beteiligten?
Zunächst wurde standardmäßig die gemeinschaftliche Begehung einer Körperverletzung durch B und C als Tatnächsten besprochen. Dabei wurde dann auch auf die möglicherweise verwirklichten Nummer aus § 224 (gef. KV) und die schwere Körperverletzung eingegangen. Hier wurde nur absolutes Basiswissen verlangt. Vor allem waren die Definitionen von Mittäterschaft und des gefährlichen Werkzeugs gefragt.
Im Rahmen der Festnahme des A wurde dann besprochen, auf welcher Grundlage diese erfolgte (dringender Tatverdacht, Haftgrund, keine Unverhältnismäßigkeit). Dabei machten wir auch einen kleinen Abstecher ins Prozessrecht und erläuterten die unterschiedlichen Verdachtsgerade und wofür diese nötig wären.
Der Prüfer wollte bei diesem Fall vor allem diskutiert wissen, ob A als Mittäter bestraft werden sollte oder nicht und welche Argumente dafür und welche dagegen sprächen (gemeinsame Planung, Ausspähen des Codes als Argumente für die Mittäterschaft, keine Anwesenheit am Tatort und kein Wissen der konkreten Tatausführung sprechen gegen die Mittäterschaft) Hier wurde von allen Prüflingen eine Argumentation erwartet, das Ergebnis war ihm dabei gar nicht so wichtig, da er meinte, es sei beides vertretbar.
Wir haben uns in der Prüfung dann außerdem noch mit dem Vorschaltbeschwerdeverfahren und dem Klageerzwingungsverfahren, §§ 170 ff. StPO beschäftigt. Dabei ging es in allen Einzelheiten immer wieder darum, wer wann eine Einstellungsnachricht oder einen Einstellungsbescheid bekommt, wann eine Rechtsmittelbelehrung erteilt werden muss und welche Folgen das Ausbleiben einer RMB hat (Frist läuft nicht). Außerdem ging es in diesem Rahmen um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 44 StPO.