Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Hessen im September 2018

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hessen im September 2018. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 3,68
Aktenvortrag 7
Prüfungsgespräch 8,33
Endnote 5,41
Endnote (1. Examen) 6,73

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Kommunalaufsicht, Weisung des Landrats, Anfechtungsklage

Paragraphen:  §139 GemO, §92 GemO, §11 KAG

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Zu Beginn der Prüfung wurde ein kleiner Fall ausgeteilt, den der Prüfer sodann vorlas. Dieser lautete in etwa wie folgt:
Der Landkreis Limburg-Weilburg wies die Stadt Hadamar mit Bescheid vom 20.07.2018 an, innerhalb einer bestimmten Frist eine den Vorgaben des KAG entsprechende Straßenbeitragssatzung zu erlassen und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an. Für den Fall, dass die Stadt Hadamar dieser Weisung nicht fristgemäß nachkommt, wurde zudem die Ersatzvornahme angedroht. Gegen den Bescheid legte die Stadt Hadamar Widerspruch ein, welcher mit Bescheid vom 31.08.2018 zurückgewiesen wurde. Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Stadt Hadamar Klage gegen den Landkreis Limburg-Weilburg zum zuständigen Verwaltungsgericht. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?
Der erste Prüfling begann im (wie durch Herrn Schmidt laut den vorherigen Protokollen favorisierten) Gutachtenstil wie folgt. Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
Zunächst müsste vor dem Einstieg in die Zulässigkeit der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 I S. 1 VwGO eröffnet sein. Dies sollte nur ganz kurz dargestellt werden. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs richtet sich nach der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel des § 40 I S. 1 VwGO. Erforderlich hierfür ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art. Gefragt wurde, warum es sich bei den streitgegenständlichen Normen aus der HGO um solche des Öffentlichen Rechts handelt. Hier sollte die modifizierte Subjektstheorie genannt werden. Nach der Sonderrechtslehre / modifizierten Subjektstheorie ist eine Norm öffentlich-rechtlich, wenn sie lediglich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt und verpflichtet. Sodann wurde in die Zulässigkeit, hier als erstes in die statthafte Klageart eingestiegen. Es wurde erläutert, dass die Klageart davon abhängt, ob es sich bei der Anordnung des Satzungserlasses etc. um Verwaltungsakte handelt. Für die Qualifizierung der Anordnung des Satzungserlasses als VA bedurfte es einer Abgrenzung zwischen Maßnahmen der Fachaufsicht und der Rechtsaufsicht, wobei das VA-Merkmal der Außenwirkung entscheidend war. Im Ergebnis handelt es sich hier um eine rechts auf sichtliche Weisung, da der eigene Wirkungskreis der Gemeinde betroffen ist, gegenüber dieser Außenwirkung entfaltet und daher als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Konkret betroffen ist hier die Finanzhoheit der Gemeinde. Zudem wurde festgestellt, dass es sich auch bei der Androhung der Ersatzvornahme um einen Verwaltungsakt handelt. Da es sich also um einen VA handelt ist die richtige Klageart die Anfechtungsklage gem. § 42 II VwGO. Gefragt wurde nun, warum nicht § 142 HGO („Gegen Anordnungen der Aufsichtsbehörde ist die Anfechtungsklage nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegeben.“) herangezogen wird? Weil die Gesetzgebungskompetenz für das Prozessrecht beim Bund liegt. Die Antragsbefugnis gem. § 42 II VwGO ergibt sich aus der Möglichkeit, dass die Stadt Hadamar in ihren Rechten aus Art. 28 II GG (= Selbstverwaltungsgarantie) verletzt ist. Die Frist gem. § 74 VwGO wurde eingehalten. Auch das Vorverfahren gem. § 68 VwGO wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Anschließend wurde der Klagegegner geprüft. Nach dem in § 78 VwGO normierten Rechtsträgerprinzip ist der richtige Klagegegner das Land, da der Landrat des Landkreises Limburg-Weilburg für das Land tätig wurde. Problematisch war hier, dass der Landkreis verklagt wurde, nicht das Land Hessen. Diese Falschbezeichnung des Beklagten ist jedoch nach Maßgabe des § 78 I Nr. 1 2. Hs. VwGO unschädlich.
In der Begründetheit wurde nun zunächst die Anordnung des Satzungserlasses geprüft.
Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 139 HGO. Die formelle Rechtmäßigkeit war unproblematisch gegeben. Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit musste nun die von § 139 HGO vorausgesetzte Verletzung einer gesetzlich geregelten Pflicht geprüft werden. Nach § 11 I S. 2 KAG können die Gemeinden für den Umbau und Ausbau der öffentlichen Straßen etc. Beiträge erheben. Nach den §§ 92, 93 HGO „hat“ die Gemeinde ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, dass die stetige Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist (§ 92 I S. 1 HGO) bzw. „hat“ die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Erträge und Einzahlungen zu beschaffen (§ 93 I HGO). Das nach § 11 KAG eingeräumte Ermessen hinsichtlich der Straßenbeitragserhebung verdichtet sich aufgrund der Soll-Vorschrift der §§ 92, 93 HGO (= kommunales Haushaltsrecht) zu einer Pflicht zur Erlassung einer Straßenbeitragssatzung, mithin zu einem intendierte Ermessen. Nur in atypischen Ausnahmefällen ist also der Erlass einer entsprechenden Satzung in das Ermessen der Gemeinde gestellt. Ein solcher atypischer Fall ist hier nicht ersichtlich. Warum müssen die Straßenbeiträge aufgrund einer Satzung erhoben werden? Weil § 2 KAG dies so vorsieht.
Die Anweisungsverfügung auf Grundlage des § 139 HGO leidet auch nicht an einem Ermessensfehler und ist auch verhältnismäßig.
Da die Prüfungszeit fast abgelaufen war, wurde nur noch kurz die Rechtmäßigkeit der Androhung der Ersatzvornahme geprüft. Die HGO sieht die Androhung einer kommunalaufsichtsrechtlichen Ersatzvornahme nicht vor und ein Rückgriff auf § 53 HSOG bzw. § 69 HessVwVG ist wohl nicht möglich. Auch verbietet sich ein Rückgriff auf § 140 HGO als Ermächtigungsgrundlage als Minusmaßnahme zur Ersatzvornahme selbst. Die Androhung war somit rechtswidrig. Damit war die Prüfung zu Ende. Die Punktevergabe ab 7 Punkten aufwärts war angemessen.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der Fall wohl an die Entscheidungen des VGH vom 12.01.2018, Az.: 8 A 1485/13 und VG München, Urteil v. 07.03.2017 – M 2 K 15.5159 angelehnt war.
Viel Erfolg für Eure mündliche Prüfung!