Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im Februar 2019. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsthemen: Strafrecht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat | 1 | 1 | 1 |
Vorpunkte | 33 | 42 | 33 |
Aktenvortrag | 8 | 9 | 7 |
Prüfungsgespräch | 8 | 10 | 8 |
Endnote | 5,5 | 6,5 | 5,5 |
Prüfungsgespräch:
Die Prüferin hat uns mehrere kleine Fälle diktiert.
Fall 1: Es gibt ein umfangreiches Strafverfahren während der Beschuldigte A in U-Haft sitzt. A sitzt zu diesem Zeitpunkt bereits seit 6 Monaten in U- Haft. Es gibt noch keine Anklage. Frage: Ist das so in Ordnung?
Ein Kandidat bemerkte dann, dass man grundsätzlich die U- Haft nur für 6 Monate anordnen kann. Danach müssten die Voraussetzungen erneut vorliegen, das ergäbe sich u.a. aus den §§ 121, 122 StPO. Danach entscheidet das OLG. Damit war sie schon zufrieden und wandelte den Fall dann ab:
Unmittelbar vor Ablauf der 6 Monatsfrist verfügt das LG einen Termin zur ersten Hauptverhandlung, dieser soll aber planmäßig erst nach den 6 Monaten stattfinden. Frage: Geht das?
Hier musste man erstmals länger überlegen. Eine Kandidatin argumentierte mit Sinn und Zweck der 6 Monatsfrist und las aus den Normen (die ich leider nicht mehr parat habe) raus, dass die Verfügung diese 6 Monatsfrist „hemmt“. Die Argumentationsstärke gefiel der Prüferin sichtlich.
Dann wurde der Fall weiter abgewandelt. Nunmehr hebt das OLG den Haftbefehl auf. Der Angeschuldigte erscheint nicht zur mündlichen Hauptverhandlung. Frage: Kann das LG ohne den Angeklagten entscheiden? Hier ging ich darauf ein, dass grundsätzlich nur mit dem Angeklagten verhandelt werden kann, außer es gibt Ausnahmeregelungen. Diese sollte ich dann suchen, wobei sich wieder das Problem ergab, die Norm auf dem Schirm zu haben. Ich fand dann zunächst § 231 StPO und im Weiteren dann § 232 StPO. Dazu wurden dann die Voraussetzungen geprüft. Dann wurde problematisiert was das Gericht nun tun kann. Es kann einen Haftbefehl erlassen oder die polizeiliche Vorführung anordnen. Hier sollte § 230 II StPO fallen. Entschuldigen konnten wir die Abwesenheit des A nämlich nicht. Welche weiteren Möglichkeiten gäbe es für den Anwalt so einen Haftbefehl anzugreifen? Mit der Beschwerde nach § 304 StPO. Hätten wir hierfür Munition? Ja, eventuell könnte man sich fragen, ob die Ladung für die Hauptverhandlung zugestellt wurde. Denn hier ergab sich die Besonderheit, dass der A zu dieser Zeit bereits in U- Haft saß. Aber § 216 II StPO sagt, dass in diesem Fall die Bekanntmachung reicht.
Fall 2: Wir sind Staatsanwalt in Bielefeld. Uns wird eine neue Akte auf den Tisch vorgelegt. Diese enthält nichts, ausser einen anonymen Brief datiert auf den 11.2.2019. Darin schildert eine Frau, dass sie von ihrem Ehemann geschlagen werde. Der Ehemann (M) hätte den gemeinsamen 14-Jährigen Sohn (S) erbeten ihm sein Taschengeld auszuhändigen. Die Frau (F) wollte dazwischengehen. Bevor S überhaupt antworten konnte entnahm er 20 Euro aus seiner Spardose, in dem sich sein eigenes Taschengeld befand. Daraufhin würgte er die F, sodass sie kurzzeitig fast das Bewusstsein verlor.
Erste Frage: Was verfügen sie als StA?
Man ermittelt, ob ein Anfangsverdacht vorliegt. Dieser sollte kurz definiert werden und dann wird ermittelt.
Welches Problem stellt sich dabei und wen würden sie zunächst vernehmen?
die F und der S könnten Zeugnisverweigerungsrechte haben nach § 52 StPO. Hier sollte man genau zitieren! Zudem ergibt sich das Problem der Minderjährigkeit des S. Grds. müssten die Eltern einer Aussage zustimmen, aber vgl. § 52 III StPO.
Was ist, wenn F zunächst aussagt, aber in der HV ihre Aussage verweigert?
Dann dürfte man diese Aussage auch nicht verlesen, vgl. § 251 StPO.
Daraufhin kam wieder eine andere Kandidatin dran, die natürlich vollends glänzen konnte durch die Möglichkeit der Vernahme über einen Ermittlungsrichter und dem höchst aktuellen Streit zwischen den Senaten über die sogenannte „qualifizierte Belehrung“.
Was bräuchte der M jetzt?
Einen Pflichtverteidiger nach § 140 StPO
Was ist noch zu verfügen?
Ein Haftbefehl zur U- Haft. Man sollte dann die Voraussetzungen des § 112 StPO prüfen. Auf den Offensichtlichen Haftgrund der Verdunklungsgefahr kam ich nicht sofort, da wohl zu offensichtlich. Und sprach erst die Fluchtgefahr an. Das gab, denke ich, auch einen guten Punktabzug.
Dann wurde noch ganz kurz materiell- rechtlich angefangen zu prüfen, wie sich der M strafbar gemacht haben könnte. Beim Einstieg in §§ 223,224 StGB klingelte auch schon die Eieruhr des Vorsitzenden das Gespräch war zu Ende. Insgesamt also viel Arbeit am Gesetz+ Basics aus der StPO.