Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hessen im Juli 2019. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsthemen: Zivilrecht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 |
Vorpunkte | 8,6 | 6,9 | 4,0 | 5,4 | 8,6 |
Aktenvortrag | 10 | 9 | 2 | 3 | 10 |
Prüfungsgespräch | 12 | 10 | 6,6 | 6,6 | 12 |
Endnote | 9,7 | 8,00 | 4,5 | 5,5 | 9,7 |
Endnote (1. Examen) | 12,5 |
Prüfungsgespräch:
Der Prüfer prüfte bei uns einen arbeitsrechtlichen Fall, der als Einstieg in eine AGB-Prüfung diente. Er teilte zunächst einen Zettel aus, auf dem eine Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen abgedruckt war. Bezüglich dieses Zettels bat er uns, ihn zunächst noch nicht anzusehen.
Er schilderte folgenden Fall: Eine Arbeitnehmerin aus Kassel wird von ihrem Arbeitgeber zu einer 2-tägigen Fortbildung nach Düsseldorf geschickt. Sie besitzt eine Bahncard 100 und plant nach dem ersten Seminartag nach Hause zu fahren und am nächsten Seminartag wieder anzureisen. Da es jedoch Probleme bei Deutschen Bahn gab, nahm sie sich ein Hotel in Düsseldorf. Die angemessenen Kosten für dieses Hotel betrugen 70 €. Im Anschluss an das Seminar berichtet sie dem Geschäftsführer, der GmbH bei der sie angestellt ist, mündlich davon. Dieser teilt mit, dass er den Sachverhalt prüfen wird. Sie wartet 3 Monate ab. In diesen drei Monaten reagiert der Geschäftsführer nicht. Anschließend macht sie den Erstattungsanspruch schriftlich geltend. Der Geschäftsführer verweigert die Erstattung unter Hinweis auf die uns ausgeteilte Klausel. Die Klausel war Bestandteil des zwischen der Arbeitnehmerin und der GmbH geschlossenen Arbeitsvertrages. Sie hatte nach meiner Erinnerung ungefähr folgenden Inhalt: „Gegenseitige Ansprüche verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Entstehung in schriftlich geltend gemacht werden.“
Der Prüfer begann die Prüfung nicht bei der nach der Reihenfolge ersten Kandidatin, sondern bei der nach der Reihenfolge letzten Kandidatin. Er wollte zunächst wissen, woraus sich der Anspruch der Arbeitnehmerin auf Erstattung der Übernachtungskosten ergibt. Dieser ergibt sich aus §670 BGB analog. Es kam ihm darauf an, dass sauber die Analogievoraussetzungen herausgearbeitet werden. Die Norm steht im Auftragsrecht. Vorliegend war es kein Auftrag, sondern hatte den Ursprung in einem entgeltlichen Arbeitsvertrag. Jedoch war die Interessenlage identisch, da die Zahlung des Entgelts gerad nicht, die Aufwendungen für die Hotelübernachtung erfasst. Wichtig war ihm bei der Prüfung des § 670 BGB analog auch, dass herausgestellt wird, dass die erforderlichen Aufwendungen im überwiegenden Interesse des (hier) Arbeitgebers erfolgen mussten.
Er verblieb bei dieser Prüfung lange bei den einzelnen Kandidaten und gab nur einzelne Fragen frei. Als Zwischenfrage formulierte er, ob einem GmbH-Geschäftsführer ein Weisungsrecht zustehen könne (ja) und was unter einer arbeitsrechtlichen Freistellung zu verstehen ist. Die arbeitsrechtliche Freistellung ist gegeben, wenn der Arbeitgeber im Allgemeinen und nicht eigenem Interesse einen Arbeitnehmer freistellt (z. B. Freistellung für Tätigkeit im Betriebsrat, Schöffenfreistellung). Im Anschluss folgte eine ausführliche AGB-Prüfung, die sich etwas in die Länge zog. Er verblieb sehr lange bei den einzelnen Kandidaten. Es war ihm besonders wichtig, dass eine saubere Prüfung erfolgte und die arbeitsrechtlichen Besonderheiten bei der AGB-Prüfung hervorgehoben werden. Zunächst wurde das Vorliegen von AGB geprüft und wann eine einmalige Verwendung nicht gegen das Vorliegen von AGB spricht. Dies ist der Fall, wenn ein Verbrauchervertrag i. S. d. §310 Abs. 1 BGB vorliegt oder bei erstmaliger Verwendung von AGB, in der Absicht diese wiederholt zu verwenden. Der Prüfer wollte konkret das Wort „Absicht“ hören. Dann wurde geprüft, ob die geforderte Schriftform gegen das Klauselverbot gem. §309 Nr. 13 b) verstößt, der eine strenge Form als die Textform verbietet. Es sollte genau die Schriftform von der Textform abgegrenzt werden und sauber die Folge des Verstoßes herausgearbeitet werden. Der Verstoß führte dazu, dass die Anzeige der Ansprüche auch mündlich erfolgen konnte wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion. Des Weiteren sollte geprüft werden, ob die 2-monatige Ausschlussfrist zu kurz bemessen war. In diesem Zusammenhang sollte dargestellt werden, dass es sich bei der Klausel nicht um eine Verjährungseinrede i. S. d. § 214 BGB handelt, sondern um einen Erlöschens Grund.
Insgesamt wurde besonderer Wert auf eine genaue Prüfung gelegt und der Prüfer verblieb lange bei den einzelnen Kandidaten. Es war insgesamt eine machbare Prüfung.