Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Rheinland-Pfalz vom Januar 2020

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Rheinland-Pfalz im Januar 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 27
Zivilrecht 8
Strafrecht 11
Öffentliches Recht 8
Endpunkte 54
Endnote 6

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: VW-Abgasskandal, Gewährleistungsrechte, Deliktsrecht, insbesondere vors. sittenwidrige Schädigung

Paragraphen: §433 BGB, §311 BGB, §823 BGB, §826 BGB, §31 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort Diskussion, lässt Meldungen zu, Intensivbefragung Einzelner, hart am Fall, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer gibt seinen Prüfungsfall vor und bestätigt sich bei einem der Prüflinge, ob dieser auch korrekt verstanden wurde. Vorgegeben wurde der Fall, dass ein Käufer K einen PKW der Marke VW von einem Autoverkäufer V erworben hat.
Dieser bezieht seine Fahrzeuge von der VW-AG. Nachdem der K das Fahrzeug für ein Jahr gefahren hat, erfährt er durch Schreiben des Kraftfahrtbundesamtes, dass sein Fahrzeug einer der betroffenen „Schummel Diesel“ ist, bei denen die Software so programmiert ist, dass sie im Testlauf auf dem Prüfstand richtige Abgaswerte auswerfen. Hingegen weichen die Abgaswerte im Normalbetrieb negativ ab, sodass ein erhöhter CO²-Ausstoß im Normalbetrieb gegeben ist.
Das Kraftfahrtbundesamt droht dem K, unter Verweis auf die Behebung der Softwareeinstellung, die Stilllegung des PKW an.
Welche Ansprüche hat der K gegen den V und die VW-AG?
Es ist zu berücksichtigen, dass der V nur Vertriebspartner der VW-AG.
Zunächst stieg man mit der Feststellung ein, dass ein Kaufvertrag nach § 433 BGB nur zwischen K und V zustande gekommen ist. Hingegen ist zwischen dem K und der VW-AG kein Vertrag zustande gekommen. Problematisiert wurde hier, ob ein ausgelegter Flyer mit Produktangaben zu den Modellen der VW-AG bereits ein verbindliches Angebot darstelle. Dies wurde jedoch einhellig verneint, da die VW-AG in keiner Weise Rechtsbindungswille durch die Flyer vermitteln will. Vielmehr wurde bei lebensnaher Betrachtung festgestellt, dass Flyer als solche auch in identischer Form bei einer Vielzahl von Personen zur Werbung per Post eingeworfen werden. Aus diesem Grund könne es sich beim Flyer nur um eine invitatio ad offerendum handeln.
Hingegen liegt in der ganzheitlichen Beratung des V ein Angebot, dass der K auch angenommen hat. Ein Kaufvertrag ist gegeben.
Weiter gilt der Vorrang der Mängelrechte. Der Prüfer wollte hier in erster Linie wissen, ob der K vom Vertrag zurücktreten und den Kaufpreis gegen Rückgabe des PKW zurückverlangen kann.
Zunächst ist festzustellen gewesen, ob ein Sachmangel überhaupt vorliegt. Einerseits konnte man argumentativ vertreten, dass ein Sachmangel gar nicht bestehe, da nur die Software geändert, jedoch nicht fehlerhaft sei. Jedoch wollte der Prüfer darauf hinaus, dass ein Sachmangel vorliegt, da bei fehlender Behebung die Stilllegung droht. Eine Beschaffenheitsvereinbarung gab es nicht. Jedoch wurde ein Sachmangel i.S.v. § 434 I 2 Nr. 2 BGB bejaht.
Im weiteren Verlauf wurde das Rücktrittsrecht unproblematisch abgelehnt, da unverhältnismäßige Kosten für den V entstünden, § 439 IV 1 BGB.
Auch geprüft wurde ein Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB. Dieser ging auch ohne Weiteres durch. Jedoch war hier die Differenzhyphotese zu beachten, nach der schließlich nur der Wert des möglichen Updates zu zahlen war, da dieses die Differenz zwischen Wert und Restwert des PKW in seinem mangelhaften Zustand darstellte.
Nun kamen wir zu den §§ 823 BGB ff. Vorliegend wurde § 823 BGB schnell abgelehnt, da das Eigentum des K nicht verletzt gewesen ist. Vielmehr sei nur die Software mangelhaft, aber gerade keine Verletzung des Rechtsguts gegeben.
Schnell kamen wir dann zu § 826 BGB, der aber bzgl. V abgelehnt wurde.
Schließlich prüften wir die Ansprüche gegen die VW-AG.
Hier kamen wir mangels vertraglicher Ansprüche schnell zu §§ 311 II, III, 241 II BGB. Diese wurden jedoch mangels Vorliegen der Nr. 1 – 3 des § 311 II BGB abgelehnt. Siehe dazu die Ausführungen zu dem Flyer oben. Die VW-AG wollte gerade nicht mit dem K selbst in Verhandlungen treten.
Aus vorgenannten Gründen ist auch § 823 I BGB abzulehnen. Eine Prüfung von § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB wollte der Prüfer mangels Zeit nicht durchführen lassen.
Jedoch kam man auch hier wieder auf § 826 BGB. Hier war insbesondere wichtig, die Definition der Sittenwidrigkeit zu beherrschen. Diese kennzeichnet sich als „Verstoß gegen das Empfinden aller billig und gerecht denkenden“, was vorliegend unzweifelhaft gegeben war. Aus diesem Grunde konnte man auch einen kausalen Schaden bejahen.
Fraglich war jedoch auch wieder der Schaden selbst. Einerseits könnte man aufgrund des Wortlauts („Diesen Schaden“) nur die Kosten des Updates ersetzt verlangen. Andererseits könnte der Schaden durch die sittenwidrige Handlung der VW-AG auch im Abschluss des Kaufvertrages gelegen haben.
Hier waren beide Lösungswege vertretbar. Jedoch wurde der letztere nicht in voller Ausführlichkeit verlangt, da dieser doch schwer zu sehen war. In letzterem Fall könnte der Käufer vom Vertrag Abstand nehmen und Schadensersatz i.H.v. des Kaufpreises verlangen.
Dann war die Prüfung auch schon zu Ende.