Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Schleswig-Holstein vom September 2021

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Schleswig-Holstein im September 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Note staatl. Teil 1. Examen 6
Gesamtnote 1. Examen 6
Gesamtnote 2. Examen 6

Zur Sache:

Prüfungsstoff: protokollfest

Prüfungsthemen: 243 StPO

Paragraphen: §243 StPO

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer begann seinen Prüfungsteil mit allgemein gehaltenen Fragen und kurzen Beispielen zum Thema Landgericht. Wir sollten uns vorstellen, wir seien Vorsitzende der großen Strafkammer:
Wann ist das Landgericht in Strafsachen zuständig? In den im GVG normierten Fällen, §§ 73 ff. GVG.
Welche Spruchkörper gibt es am Landgericht, wofür sind diese zuständig und wie sind sie besetzt? Große Strafkammer, § 76 I GVG, bestehend i.d.R. aus zwei Berufsrichtern (§ 76 II 4 GVG), in speziellen Fällen mit drei Berufsrichtern (§ 76 II 3 GVG) und zwei Schöffen, zuständig für die Entscheidung, wenn kein anderes Gericht (OLG, AG) zuständig ist, regelmäßig bei zu erwartender Freiheitsstrafe > 4 Jahre oder bei besonderer Bedeutung der Sache, etwa in Strafverfahren gegen Prominente. Kleine Strafkammer, bestehend aus einem Berufsrichter und zwei Schöffen, zuständig für Berufungen gegen amtsgerichtliche Urteile sowie weitere funktionell zuständige Spruchkörper in den gesetzlich genannten Fällen (z.B. Schwurgericht, § 74 II GVG). Was passiert, wenn am Morgen der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle bei Ihnen als Vorsitzende anruft und sagt, dass der beisitzende Richter verhindert ist? Müssen Sie dann etwas unternehmen oder können Sie weiter frühstücken? Es wird der nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Vertreter herangezogen (Hintergrund: Gesetzlicher Richter, Art. 101 I 2 GG). Muss zu Beginn der Hauptverhandlung darauf hingewiesen werden? Ja, weil das LG seine Besetzung zu Beginn der Hauptverhandlung mitteilen muss, § 222a I StPO. Falls die Besetzung bereits vor Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt worden ist (§ 222a II StPO), gebietet es das Recht auf den gesetzlichen Richter, dass die Abweichung zu Beginn der Hauptverhandlung festgestellt wird, auch um keinen absoluten Revisionsgrund herbeizuführen. Dann: Was passiert, wenn am Morgen der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle beim Vorsitzenden anruft und sagt, dass einer der Schöffen verhindert ist? Auch hier wieder die Frage, ob man als Vorsitzende etwas unternehmen muss oder nicht? Es wird ein Ergänzungsschöffe aus der Hilfsschöffenliste herangezogen, §§ 48, 49 GVG. Die Hinzuziehung eines Hilfsschöffen geschieht durch Anordnung, § 49 III GVG. Deshalb muss die Vorsitzende nun handeln. Es kam dann noch die Frage, warum man bei den Schöffen kurz überprüfen muss, ob wirklich ein Verhinderungsgrund gegeben ist. Anschließend kam die Frage, in welcher Besetzung die Strafkammern Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung treffen ? Nur durch die Berufsrichter, § 76 I 2 GVG. Sodann wollte der Prüfer von uns den Gang einer Hauptverhandlung geschildert bekommen, und zwar von Anfang bis Ende mit praktischen Bezügen. Hier konnten wir uns an der Vorschrift des § 243 StPO von oben nach unten durcharbeiten. Er wollte hierzu keine Normen genannt bekommen, sondern, dass man schildert, wie es in der Praxis abläuft. Nach jeder Antwort stellte er Rückfragen, wie beispielsweise: Wie wird eine Sache „aufgerufen“? Durch Vorlesung der Sache aus der Terminsrolle vor dem Sitzungssaal (sieht man eher selten, ist auch kein revisibeler Verfahrensfehler, da die Hauptverhandlung jedenfalls dann beginnt, wenn das Gericht erkennbar verhandelt). Wer ist alles Verfahrensbeteiligter? Das Gericht, der Verteidiger, der Angeklagte, ein Vertreter der Staatsanwaltschaft, ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle. Werden Zeugen bereits zu Beginn der Hauptverhandlung im Kollektiv belehrt und danach wieder hinausgeschickt? Nein, in der Praxis werden Zeugen jeweils vor Beginn ihrer Vernehmung zur Sache belehrt. Was passiert, wenn der Angeklagte nicht erschienen ist? Man wartet in der Praxis 15 Minuten. Er wollte dann auch wissen, warum eigentlich 15 Minuten? Dies konnte aber keiner von uns so richtig beantworten. Dann kam die Frage, warum vor dem Landgericht kein Strafbefehl nach § 408a StPO ergeht in diesem Fall, sondern ggf. Vorführung oder Sitzungshaftbefehl, § 230 II StPO. Es ging dann vertiefter um den Sitzungshaftbefehl. Wer muss über den Sitzungshaftbefehl entscheiden? Da es sich um eine Entscheidung in der Hauptverhandlung handelt, der gesamte Spruchkörper einschließlich Schöffen. Wie wirkt es sich aus, wenn ein Hilfsschöffe herangezogen worden ist, der Verteidiger, die nicht ordnungsgemäße Besetzung rügt, die Kammer aber trotzdem einen Sitzungshaftbefehl erlassen will? Auf diese schwierige Frage hatten wir keine zufriedenstellende Antwort. Der Prüfer wollte uns damit auf das Spannungsverhältnis zwischen einer u.U. nicht ordnungsgemäßen Besetzung und einer zu treffenden Entscheidung in dieser Besetzung aufmerksam machen. Er löste die Frage damit auf, dass in der Praxis der Sitzungshaftbefehl dann einfach erlassen wird. Der Prüfungsstil war eher fordernd, aber nicht unangenehm. Es ging weiter mit § 243 StPO, unter anderem der Verlesung des Anklagesatzes durch die Staatsanwaltschaft sowie die Mitteilung, ob Erörterungen stattgefunden haben, die Inhalt einer Verständigung sein können. Wenn solche Erörterungen stattgefunden haben, ist deren Inhalt und deren Ergebnis mitzuteilen. Wenn keine Erörterungen stattgefunden haben, ist auch dies mitzuteilen. Warum könnte ein Schöffe auf die Idee kommen, gar nicht mehr an der Hauptverhandlung teilnehmen zu wollen, wenn Erörterungen stattgefunden haben? Weil im Rahmen der Erörterungen regelmäßig eine Verständigung in Bezug auf ein Strafmaß getroffen wird und sich der Schöffe dann denken könnte, dass man ihn nicht mehr braucht. Denn die Verständigung findet „hinter verschlossenen Türen“ ohne die Schöffen statt. Von der Einkleidung her und auch von der Formulierung der Fragen war die Prüfung sehr angenehm und machbar. Man wusste genau, was gefragt wurde bzw. was er wissen wollte. Allerdings hatte ich nicht unbedingt den Eindruck, dass etwas aus den vorherigen Protokollen drankam, auch wollte er im Gegensatz zu den vorherigen Protokollen nicht zwingend „Buzz-Words“ hören, sondern es kam ihm vielmehr darauf an, ob wir wissen, wie es in der Praxis abläuft (siehe 15 Minuten-Frage). Wenn die Prüfung ins Stocken geriet, weil die Fragen dann doch z.T. etwas knifflig waren, ließ er uns ausreichend Zeit, im Gesetz zu suchen und kurz zu lesen. Im Gegensatz zu manch anderem Protokoll empfand ich die Art vom Prüfer sehr angenehm und er wusste, wie er uns -sowohl im Vorgespräch als auch in der Prüfung die Angst nehmen kann. Viel Erfolg, bald ist es vorbei!