Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Hamburg vom Oktober 2021

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Note staatl. Teil 1. Examen 6,5
Gesamtnote 1. Examen 8,1
Gesamtnote 2. Examen 6,5

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: StGB

Paragraphen: §§246 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort-Diskussion

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer stellte uns vier kleine Fälle: Fall 1) Der Prüfer begann die Prüfung mit einem Fall, mit welchem er als Bereitschaftsstaatsanwalt vor Kurzem konfrontiert wurde. Die Polizei rief ihn an und schilderte folgenden Sachverhalt: Eine Gruppe von 3 Personen lief durch Kiel, als plötzlich ein

Mann mit einer Holzkeule auf eine der Personen einschlug. Später stellte sich heraus, dass der Geschädigte einen Jochbeinbruch (o.Ä.) erlitten hatte. Die Gruppe verfolgte den anschließend flüchtenden Tatverdächtigen (TV) bis zu einem Mehrfamilienhaus, in welches der TV ging. 30 Sekunden später wurde in einer Wohnung des Hauses das Licht eingeschaltet. Die drei Personen warteten vor dem Haus auf die Polizei. Als diese mit Blaulicht und Einsatzhorn am Wohnhaus ankam, wurde genau im selben Raum das Licht wieder ausgeschaltet. Der Prüfer fragte nun, was für Straftaten in Betracht kommen würden. Zutreffend wurde schnell die gef. KV (223, 224 StGB) bejaht, wobei nur kurz auf eine der Nummern des 224, namentlich der des 224 Abs 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB, eingegangen werden sollte. Sodann fragte der Prüfer jeden der Prüflinge der Reihe nach, ob seiner Meinung nach ein Anfangsverdacht gegenüber derjenigen Person vorliegt, welche in der Wohnung das Licht an und aus gemacht hat. Wir argumentierten mit zeitlichem Zusammenhang zum Betreten des Wohnhauses und dem Licht einschalten, zudem aber auch mit dem Umstand, dass auch unschuldige Personen das Licht bei anfahrender Polizei vor dem Haus ausmachen würden, um das Geschehen vor der eigenen Wohnung besser sehen zu können. Zwar sollten wir uns konkret festlegen, ob ein Anfangsverdacht besteht oder nicht, doch stellte der Prüfer auch klar, dass es seiner Meinung nach keiner richtigen oder falschen Antwort bei dieser Frage gebe. Er wollte vielmehr eine plausible Argumentation hören. Sodann fragte er, was für Ermittlungsmaßnahmen wir ergreifen würden. Wir nannten Klingeln an der Tür (welches nach Anmerkung vom Prüfer ohne Ergebnis bleiben sollte), Durchsuchung der Wohnung, Gegenüberstellung etc. Dann sollte ein Prüfling die Voraussetzungen der Durchsuchung gem. § 102 StPO durchprüfen, welche bejaht wurden. Der Prüfer löste sodann den Fall auf und meinte, dass er den Beamten ebenfalls zur Wohnungsdurchsuchung „geraten“ hatte, sich im Ergebnis aber vier Unbeteiligte in der „Wohnung mit dem Licht“ befunden haben und der TV eventuell durch einen Hinterausgang etc. entfliehen konnte. Fall 2) Anschließend schilderte der Prüfer einen Fall, welcher sich auf dem Schreibtisch seiner Kollegin befindet. Es handelt sich um ein drogensüchtiges Beschuldigen, welcher auf Videokamera aufgenommen wurde, wie er in Kiel bei Douglas um 14:00 Uhr 10 Flaschen Parfum entwendet, anschließend um 14:05 Uhr wieder das Geschäft betritt und 10 weitere Flaschen entwendet. Materiell hielten wir uns nur kurz im Diebstahl samt Regelbeispiel (wohl

Gewerbsmäßigkeit, kurze Definition) auf und bejahten diesen. Viel wichtiger war der Prüfer jetzt jedoch die Frage, ob es sich um eine oder mehrere Taten handelt. Hier wollte der Prüfer jedoch nicht dogmatisch präzise Antworten, er fragte vielmehr jeden der einzelnen Prüfligen, ob es deren Meinung nach aus Sicht des Täters um einen Tatentschluss oder mehrere Tatentschlüsse gehandelt hat und an welchen objektiven Umständen wir das ableiten könnten. Es wurde auf § 52, 53 StGB sowie § 264 StPO eingegangen sowie auf eine Gesamtstrafen Bildung nach § 55 StGB. Das

Ergebnis war erneut offen, ihn interessierte vielmehr unsere Argumentation. Fall 3) Erneut schilderte

Der Prüfer einen Fall seiner Kollegin. Diesmal ging es um einen Rentner, welcher auf eine

Zeitungsannonce hin sich eine Prostituierte einlud. In der Annonce ließ sich kein Hinweis auf das Alter der Dame finden. Vor Ort stellte sich die Prostituierte dann als 65-70-Jährige dar, dennoch übergab der Mann der Dame eine Anzahlung von 120 Euro. Kurz danach überlegte er es sich jedoch anders und teilte dies der Dame mit, welche sodann behauptete, dass ihre 25-jährige Kollegin vor dem Haus warten würde, für eine weitere Anzahlung würde sie diese nach oben holen. Der Mann zahlte weitere 120 Euro und die Dame verließ das Haus. Weder die Dame noch die (angebliche) 25-jährige Kollegin tauchte jedoch wieder auf. Hier sollten wir diskutieren, durch welche Handlungen ein Betrug in Betracht kommt. In der Annonce direkt, weil man davon ausgeht, dass normalerweise jüngere Dame inserieren? Später, als Sie die (angebliche) Kollegin ins Spiel brachte? Anschließend ging es um die prozessuale Frage der Beweisbarkeit. Die Beschuldigte schwieg; Der Prüfer wollte von uns Ermittlungsansätze wissen (Zeugen vor dem Haus, ob es eine Kollegin gab etc.). Er selbst gab dann ergänzend vor, dass die Beschuldigte laut BZR-Auszug bereits einschlägig wegen der Sache mit angeblichen Kolleginnen vorbestraft ist. Sodann sollten wir als Verteidiger der Prosituierten und als StA Argumente dafür finden, ob man anhand des BZR-Auszuges Rückschlüsse auf den hiesigen Sachverhalt ziehen kann. Fall 4) Abschließend stellte der Prüfer einen weiteren

Fall seiner Kollegin, bei dem die Polizei einen parkenden PKW mit offenen Türen im Halteverbot vorfand. Der Fahrer war betrunken und verweigerte die Aussage, der PKW war zuvor 800 Meter weiter bei einer Tankstelle entwendet worden. Welche Delikte kommen in Betracht? § 20 StVG, § 242 StGB und § 248 b StGB. Hier ging es dem Prüfer um die Abgrenzung von Diebstahl und 248b StGB. Es ging ihm um die Enteignungskomponente und den Rückführungswillen des Täters. Hier galt es wieder je Prüfling nacheinander seine Meinung dazu zu äußern, ob dem Beschuldigten ein Diebstahl vorgeworfen werden kann oder nur die Gebrauchsanmaßung. Wie immer gab es keine eindeutig richtige Lösung, sondern nur eine gute Argumentation. Abschließendes: Mit diesem Prüfer habt ihr einen routinierten und fairen Prüfer, bei welchem die Prüfungszeit schnell vorüber geht. Wiederholt am besten oberflächlich das materielle Recht der ersten Semester und vertieft lieber das prozessuale Recht aus Sicht eines StA. Ich werdet das ganz sicher schaffen, den schwersten Teil habt Ihr hinter euch. Viel Erfolg auf diesem letzten Schritt zur „Freiheit“!

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hamburg im Oktober 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.