Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Bayern vom Dezember 2021

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Entscheidung des BVerwG; Eilrechtsschutz

Paragraphen: §80 VwGO, §123 VwGO

Prüfungsgespräch:  Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Intensivbefragung Einzelner

Prüfungsgespräch:

Die Prüferin stieg in die Prüfung mit der Frage ein, was gestern gewesen sei. Sie wollte auf die Entscheidung des BVerfG über die Bundesnotbremse hinaus. Das Gericht entschied, dass die Maßnahmen zulässig gewesen sind. Es wurde kurz auf den Inhalt der Entscheidung eingegangen. Anschließend erklärte die Prüferin, die Entscheidung sei ja nicht überraschend gewesen. Sie wollte auf das im Juni statt gefundener Treffe zwischen Vertretern der Bundesregierung und den Verfassungsrichtern H. und B. hinaus. Dabei wurde ein Vortrag von Richterin Baer zu Entwicklungen der Rechtslage in Corona-Zeiten gehalten. Außerdem habe H. ein Interview gegeben, in dem er die aktuelle Gesetzespolitik als gut lobte. Er beschloss außerdem, eine mündliche Verhandlung sein nicht erforderlich. Als Folge darauf wurde ein Befangenheitsantrag gestellt. Die Prüferin wollte hören, wo die Grundlage dafür zu finden ist. Der Prüfling nannte Art. 97 GG (den wollte sie allerdings nicht hören) und § 19 BVerfGG. Es musste beantwortet werden, was der Begriff „Befangenheit“ heißt. Der Prüfling antwortete mit „Besorgnis der fehlenden Unparteilichkeit“. Erforderlich ist der Anschein bzw. Verdacht, dass der Richter nicht neutral ist. Die Prüferin wollte den Begriff „böser Schein“ hören. Dies sei ein durch das BVerfG entwickelter Begriff. Anschließend wollte sie eine Abwägung, ob eine Befangenheit vorlag oder nicht. Der Prüfling bejahte dies, da mit einer Partei einseitig im Vorfeld Gespräche über das Thema des Verfahrens stattfanden. Die nächste Kandidatin sollte dazu ebenfalls Stellung nehmen. Sie kannte die Begründung des BVerfG mit der der Antrag abgelehnt worden. Zwischen BVerfG und Regierung sind Gespräche als notwendiger Gedankenaustausch zulässig und notwendig, um sie vermeiden, dass die Regierung eine Vielzahl verfassungswidriger Gesetze erlässt, die nach dem Erlass direkt durch das BVerfG aufgehoben werden müssten. Die Prüferin fuhr mit einem Fall fort. Familie F wohnt in der Gemeinde G direkt neben einem Sportplatz. Der Sportplatz steht im Eigentum der Gemeinde G und wird normalerweise nur werktags für Fußballtrainings genutzt. Aufgrund der aktuellen Corona bedingten Schließungen treffen sich viele Jugendliche abends zum Feiern auf den Straßen. Um dies zu unterbinden, beschließt der Gemeinderat, dass der Sportplatz freitags und samstags von 22:00 bis 0:00 Uhr für sogenannte „Mitternachts-Kicks“ geöffnet wird. Dafür wird ein Trainer engagiert und das Flutlicht in diesen Zeiten eingeschaltet. Der Familienvater der Familie F (A) fühlt sich aufgrund des Lärms und Flutlichts im Schlaf beeinträchtigt. Und möchte dagegen vorgehen. Zuerst wurde das klägerische Begehren näher betrachtet. Der Familienvater möchte, dass die „Mitternachts-Kicks“ nicht mehr stattfinden. Möglich ist eine Klage. Allerdings scheint im vorliegenden Fall einstweiliger Rechtsschutz den Interessen des A am besten gerecht zu werden. Es wurde § 80 von § 123 VwGO abgegrenzt. Dafür muss ermittelt werden, welche Klage in der Hauptsache statthaft wäre. Sofern der Beschluss über die Mitternachts-Kicks ein Verwaltungsakt ist, wäre eine Anfechtungsklage statthaft. Die Eigenschaften eines Verwaltungsakts nach Art. 35 BayVwVfG wurden kurz durchgeprüft und dabei kam die Kandidatin zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Realakt handelt. Daher wäre in der Hauptsache die allgemeine Leistungsklage statthaft. Somit ist § 123 VwGO anzuwenden. Besonderheiten bei § 123 VwGO sind in der Zulässigkeit die Behauptung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund. Es wurde erklärt, um was es sich dabei handelt. In der Begründetheit war die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund zu prüfen. Es wurde darüber gesprochen, dass es sich um einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch handelt, der sich wohl aus § 1004 BGB ableiten lässt, und die richtige Anspruchsgrundlage gesucht. Nach längerer Diskussion wurde schließlich 22 Abs. 1 BImSchG gefunden. Die Prüferin fragte, ob das Gericht eine ermessen hat. Dies wurde sowohl hinsichtlich des „ob’s“ als auch hinsichtlich des „wie“ bejaht. Die Prüferin diktierte einen neuen Fall und gab das Wort an die dritte Kandidatin ab. Auf dem Hof des Bauern A steht eine alte, 15 m hohe Eiche. Diese droht nach einem Sturm auf das Nachbarhaus zu fallen. A möchte den Baum trotzdem nicht fällen. Nachbar B wendet sich daher an den Bürgermeister, mit dem er befreundet ist. Bürgermeister B der kleinen Gemeinde hat A schon seit längerem auf dem Kieker. Er setzt sich daher zu Hause an den Schreibtisch und setzt handschriftlich folgendes Schreiben auf: 1. A wird verpflichtet den Baum zu fällen 2. Der sofort Vollzug wird angeordnet. 3. Für den Fall der nicht Befolgung der Anordnung wird angeordnet, dass der Baum durch Gemeindemitarbeiter gefällt wird, wobei dabei Kosten von ca. … Euro entstehen. Um Geld für die Gemeinde zu sparen wirft B den Brief selbst in den Briefkasten des A. A wendet sich an seinen Rechtsanwalt und fragt, was er tun kann. Es wurden die einzelnen Tenorpunkte separat betrachtet. Der Punkt 1. (Fällungsanordnung) ist ein Verwaltungsakt. Möglich wäre daher eine Anfechtungsklage. Punkt 2. (Anordnung der sofortigen Vollziehung) ist kein Verwaltungsakt, daher nicht separat anfechtbar. Es ist ein Fall des § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO. Aufgrund der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist ein Antrag nach § 80 V VwGO (Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung). Es wurde kurz das System des 80 II und 80 V VwGO besprochen. Bei Punkt 3. handelt es sich um die Androhung eines Zwangsmittels. Es wurde kurz abgegrenzt, ob es sich um ein Zwangsgeld oder eine Ersatzvornahme handelt. Es handelt sich um eine Ersatzvornahme nach § 29 VwZVG (ein kleiner Exkurs warum nicht BayVwZVG gesagt werden muss; da das Bundesgesetzt ZVG heißt). Es wird also Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach 80 V VwZVG gestellt. Bezüglich Punkt 1. Ergibt sich das Fehlen der aufschiebenden Wirkung aus § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO, bei Punkt 3. Ergibt sich dies aus Art. 21a VwZVG. Im Anschluss wurde an die letzte Kandidatin abgegeben und die Antragsbefugnis geprüft. Eine Verletzung subjektiver Rechte kann sich aus Art. 12 I GG ergeben, da A Eigentümer des Baumes ist. Jedenfalls aber aus Art. 2 I GG, da A Adressat des Schreibens ist. Daher ist nach der Adressatentheorie eine Antragsbefugnis anzunehmen. Eine Antragsfrist besteht nicht. Auch muss die Anfechtungsklage vorher nicht erhoben sein (vgl. § 80 V S. 2 VwGO). Antragsbefugnis wurde angesprochen, das wurde von der Prüferin aber sofort abgebrochen. Dazu wollte sie nichts hören. Im Rahmen der Begründetheit wurde die Passivlegitimation geprüft (vgl. 78 I Nr. VwGO). Wobei die Gemeinde als richtiger Antragsgegner festgestellt wurde. Schließlich sollte der restliche Aufbau der Begründetheitsprüfung dargestellt werden: Formelle Rechtmäßigkeit der Sofortvollziehungsanordnung Materielle Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts Bei der formellen Rechtmäßigkeit der Sofortvollziehungsanordnung wurde dargestellt, dass eine Abgrenzung zwischen dem Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Betroffenen an dem Verbleib des ursprünglichen Zustands. Auf weitere Probleme wie mögliche Befangenheit des Bürgermeisters wollte die Prüferin nicht hören. Sie wollte hören, dass eine schriftliche Begründung notwendig ist (vgl. § 80 III S. 1 VwGO) und diese vorliegend fehlt. Es wurde noch kurz darauf eingegangen, dass der Bürgermeister nach Art. 37 III GO zuständig ist, da der Baum akut droht umzufallen, also Dringlichkeit vorliegt. Abschließend wurde noch kurz erwähnt, dass das persönliche Einwerfen des Briefes kein Problem für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist, sondern nur für die Androhung des Zwangsmittels ein Problem darstellt. Damit war die Prüfung beendet. Viel Erfolg bei eurer mündlichen Prüfung. Ihr schafft das. Bald habt ihr es hinter euch.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Bayern im Dezember 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.