Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Niedersachsen vom September 2022

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Note staatl. Teil 1. Examen

11,54

Gesamtnote 1. Examen

12

Zur Sache:

Prüfungsstoff: protokollfest

Prüfungsthemen: Gesamthandsgemeinschaften, Firmenfortführung, § 816 II, Sachmangelbegriff, Rügeobliegenheit, Gerichtszuständigkeit

Paragraphen: §17 HGB, §25 HGB, §434 BGB, §377 HGB, §816 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort-Diskussion, hält Reihenfolge ein, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer rückte thematisch zunächst die Erbengemeinschaft in den Vordergrund und fragte mich, ob diese selbst Ansprüche geltend machen könne oder verklagt werden könne. Ich erläuterte, dass eine Erbengemeinschaft selbst anerkanntermaßen nicht rechtsfähig und damit im Zivilprozess auch nicht parteifähig ist. Ansprüche könnten nur die Miterben der Erbengemeinschaft als Mitgläubiger gemeinschaftlich geltend machen (§§ 2039, 432 BGB) oder gesamtschuldnerisch für solche haften (§§ 2058, 421 BGB). Darauffolgend erläuterte ich, dass die Erbengemeinschaft dazu diene, die Auseinandersetzung des Nachlasses zu gewährleisten. Der Erblasser könne eine Teilungsanordnung nach § 2048 BGB treffen und darüber dem jeweiligen Erben einen schuldrechtlichen Anspruch für die Auseinandersetzung verschaffen. Der Prüfer war mit diesen Ausführungen gut zufrieden. Eine Kollegin erläuterte sodann die Natur der Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft. Zudem brachten sie und ein weiterer Mitprüfling Beispiele für weitere Gesamthandsgemeinschaften (GbR, OHG, KG, Gütergemeinschaft nach §§ 1415 ff. BGB). Daran schloss sich noch kurz eine Abgrenzung zur Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB an. Ich differenzierte noch zwischen der Vollrechtsfähigkeit von juristischen Personen wie der GmbH und der AG und der Teilrechtsfähigkeit der Personenhandelsgesellschaften. Zu letzterem gehöre auch die Fähigkeit als Rechtssubjekt Träger von Rechten und Pflichten zu sein und im gerichtlichen Verfahren klagen und verklagt werden zu können. Dann fragte der Prüfer, was denn im Gegensatz zu den gerade behandelten Personenmehrheiten eine Firma sei. Ein Mitprüfling verwies auf § 17 I HGB, wonach es sich bei der Firma eines Kaufmanns um den Namen handle, unter dem die Geschäfte betrieben werden. Auf die Frage, ob denn auch die Firma im Zivilprozess parteifähig ist, wusste von den anderen zunächst niemand so recht eine Antwort. Mir gelang es dann auf § 17 II HGB zu verweisen, welcher genau diese Fragestellung positiv beantwortet. Im Anschluss hieran begann der Prüfer einen kurzen Fall vorzulesen. Dies tat er in angemessenem Tempo, obgleich es auch nicht zu langsam vorgetragen war. Vernünftig mitschreiben konnte man aber dennoch. Der Fall lautete ungefähr so: Der A betreibt einen Schuhhandel. Dies möchte er nun an seinen langjährigen Mitarbeiter B weitergeben, weshalb er sein Geschäft letztlich auf diesen überträgt. Allerdings vereinbaren beide, dass die noch vorhandenen, bereits begründeten Ansprüche des A nicht auf B übergehen sollen, da A noch einen umfangreicheren Anspruch gegen eine Arztpraxis hat. Diesen möchte er noch selbst einziehen. B übernimmt sodann die „Schuhhandlung A“ und führt sie unter dem Namen „Schuhhandlung A Inh. B“ fort. Ein paar Monate später kommt ein Mitarbeiter der Arztpraxis in das Schuhgeschäft und bezahlt gegenüber B die ausstehende Summe. Dieser nimmt das Geld gerne entgegen und führt es seinem Vermögen als Geschäftsinhaber zu. Die Frage lautete nun, ob A Zahlung dieses Betrags von der Arztpraxis und/oder wahlweise von B verlangen kann. Eine Kommilitonin begann gegenüber der Arztpraxis einen Anspruch aus § 433 II BGB zu prüfen und stellte kurz den wirksamen Abschluss eines Kaufvertrags fest. Es war nun fraglich, ob der Anspruch des A aus § 433 II BGB erloschen war. Dies könnte nach § 25 I 2 HGB der Fall sein. Sie prüfte die tatbestandlichen Anforderungen (unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft, Fortführung mit Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes, zuvor begründete Forderung, Einwilligung des bisherigen Inhabers in die Fortführung) solide durch. Dann wurde die Frage gestellt, wie denn die Vereinbarung, die Forderung solle nicht übergehen, zu bewerten sei. Ein weiterer Mitprüfling stellte korrekterweise auf § 25 II HGB ab und subsumierte richtig, dass die Vereinbarung von A und B mangels Handelsregistereintragung keine Wirksamkeit gegenüber der Praxis entfalte. Damit war As Anspruch aus § 433 II BGB nach § 25 I 2 HGB gegenüber der Praxis erloschen. Weitere Ansprüche gegen die Praxis bestanden nicht. Anschließend ging es um mögliche Ansprüche gegen den B. Nachdem die anderen Mitprüflinge keine wirkliche Idee gewinnen konnten und vertragliche Ansprüche aus einem möglichen Übertragungsvertrag nicht wirklich in Betracht kamen, stieß ich korrekterweise auf den § 816 II BGB.
Mir gelang es, die Anspruchsvoraussetzungen (Nichtberechtigter=Nichtgläubiger, Leistung bewirkt, Berechtigter=Wahrer Gläubiger, dem Berechtigten gegenüber wirksam) herauszustellen und sie prägnant zu subsumieren. Wegen § 25 I 2 HBG war die Leistung der Praxis an B dem A gegenüber wirksam. A hatte mithin einen Anspruch gegen B aus § 816 II BGB. Es gab noch eine kleine Fallabwandlung: B bestellte bei C Schuhe der Größe 45 in der Farbe braun. Stattdessen lieferte C aber Schuhe der Größe 41 in der Farbe beige. Zudem lieferte C auch noch 10 Schuhe zu wenig. B war kurz vor der Lieferung für zwei Wochen in den Urlaub gefahren und konnte die Fehler des C erst dann rügen. Es war nun fraglich, ob dem B gegen C Ansprüche aufgrund der Fehllieferungen zustünden. Die Kollegin begann Ansprüche aus § 437 BGB zu prüfen. Ein wirksamer Kaufvertrag sei gegeben. Es bedürfe nun eines Sachmangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Einerseits bestehe eine Aliud-Lieferung iSd. § 434 V, wonach eine solche Lieferung dem Sachmangel gleichgestellt sei. Aus objektiver Empfängersicht liege ein Erfüllungsversuch vor, weshalb auch ein Gefahrübergang angenommen werden könne. Ein anderer Mitprüfling erläuterte, dass die ebenfalls vorhandene Zuwenig-Lieferung mittlerweile nach § 434 II 2 BGB zum echten Sachmangel erhoben wurde, weshalb in der Konsequenz von der vereinbarten Soll-Beschaffenheit abgewichen wurde. Auf Nachfrage erläuterte er, dass durch die Reform in § 434 II 2 BGB nicht mehr zwischen offener und verdeckter Zuwenig-Lieferung zu differenzieren ist. Nun stellte sich noch die Frage, ob Gewährleistungsrechte ausgeschlossen sein könnten. In Rede stand die Rügeobliegenheit nach § 377 II HGB. Ich konnte herausarbeiten, dass es für den Ausschluss der Rechte letztlich nur auf das Nicht-Rügen und weniger auf das Nicht-Untersuchen ankomme. Daraus folgte, dass B als Geschäftsinhaber und Kaufmann alle nötigen Voraussetzungen in seinem Betrieb dafür schaffen muss, dass er rechtzeitig rügen kann. Dies sei, so meine Aussage, auch im Sinne der das HGB prägenden Zügigkeit der Geschäftsabwicklungen. Da B dies nicht getan hatte und auch nicht mehr unverzüglich gerügt hatte, waren seine Gewährleistungsrechte nach § 377 II HGB ausgeschlossen. Weitere Ansprüche standen B nicht zu. Zum Abschluss stellte der Prüfer noch ein paar Fragen zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit im Zivilprozess. Eine Kollegin konnte § 1 ZPO iVm. §§ 23, 71 GVG im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit und vor allem §§ 12, 13 ZPO im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit benennen und noch ein wenig das Verhältnis zu den besonderen Gerichtsständen erläutern. Ich konnte noch beitragen, dass sich die Streitwertbestimmung nach den §§ 2 ff. ZPO richte. Dann war die Prüfung vorbei.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Niedersachsen im September 2022. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.