Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Niedersachsen vom März 2023

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1

Note staatl. Teil 1. Examen

10

Gesamtnote 1. Examen

1

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Sinn und Zweck des Strafrechts, Rechtsgüterschutz, Rolle des Staates bei der Bestrafung von Menschen, Änderungen der Ersatzfreiheitstrafe, Aktuelle Strafrechtsreformen

Paragraphen: §43 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort-Diskussion, lässt Meldungen zu, Intensivbefragung Einzelner, verfolgt Zwischenthemen

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer stieg in die Prüfung ein, indem er fragte, was denn überhaupt der Sinn und Zweck von Strafrecht sei. Dabei wurde zunächst auf Rechtsgüterschutz, Moralvorstellungen und den Schutz der Freiheit des Einzelnen eingegangen. Der Prüfer freute sich, als auf die Inzest-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingegangen wurde (2 BvR 392/07). Dieses Urteil kannten wir Prüflinge, da auch in einer früheren Prüfung des Prüfers dies schon mal abgefragt hatte. Als nächstes fragte der Prüfer, was denn eigentlich Rechtsgüter seien. Dabei war er glücklich, als ein Prüfling eine wörtliche Definition von Roxin dazu kannte („Alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind“). In der Prüfung merkte der Prüfer an, dass aufgrund der Tatsache, dass wir alle guten Vornoten hätten, unsere Prüfung keine „klassische Diebstahlsprüfung“ werde, sondern er die Prüfung mit uns nutzen wollte, mal etwas grundsätzlicher zu werden. Einen Fall, den wir lösen mussten, bekamen wir zu unserer Überraschung also nicht. Danach wollte er von allen vier Prüflingen einen Definitionsversuch hören, ab welchem Punkt ein Verhalten so zu missbilligen ist, dass man es pönalisieren muss. Es wurde gefragt, an welche Vorgaben der Gesetzgeber sich halten muss, wenn er Verhalten bestrafen möchte. Dabei führten wir aus, dass eine gewisse Erheblichkeit erforderlich ist. Der Prüfer erzählte uns danach in der Prüfung, dass es Sache des Gesetzgebers ist, zu entscheiden, was erheblich ist. Auch wollte er ein Beispiel aus der Vergangenheit ein Beispiel wissen, wo durch ein Strafgesetz kein Rechtsgüterschutz stattgefunden hat, sondern bloße Moralvorstellungen geschützt werden würden, wobei wir auf § 175 StGB (Verbot sexueller Handlungen homosexueller Männer) eingingen. Als nächstes erwähnte der Prüfer das aktuelle Vorhaben des Justizministers Buschmann, Straftatbestände aus dem StGB zu streichen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Hier fragte er uns, welche Straftatbestände in Betracht kommen würden. Er wollte dabei wohl unter anderem auf das Erschleichen von Leistungen (§ 265a) und die damit einhergehende Problematik hinaus, dass vor allem mittellose Menschen bestraft werden. Anknüpfend an die durch § 265a bestraften mittellosen Menschen, diskutierten wir über die Ersatzfreiheitsstrafe. Dazu ist zu sagen, dass einige Tage vorher ein Gesetzesentwurf im Bundestag diskutiert wurde, bei dem vorgeschlagen wurde, einen Tagessatz Geldstrafe im Fall der Mittellosigkeit nur noch in einen halben Tag Ersatzfreiheitsstrafe umzuwandeln. Hier diskutierten wir intensiv über Vor- und Nachteile der Ersatzfreiheitsstrafe und die möglichen Motive des Gesetzgebers, die Vorschriften zu ändern. Als Tipp schreibt man sich am besten die passenden Vorschriften des EGStGB und der StPO neben § 43 StGB. Der Prüfer erwartete die Kenntnis der Vorschriften nicht, war aber beeindruckt, als wir ihm diese nennen konnten. Zum Abschluss wurde es noch etwas soziologisch. Der Prüfer fragte, warum man, je nach Regelung des jeweiligen Bundeslandes, einen Tag Ersatzfreiheitsstrafe mit nur wenigen Stunden gemeinnütziger Arbeit abwenden könne und wollte hören, dass es sich häufig um Langzeitarbeitslose und Obdachlose handele, die gar nicht in der Lage sind, einen vollen Tag zu arbeiten.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Niedersachsen vom März 2023. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.