Prüfungsthemen: Strafrecht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat |
1 |
Endpunkte |
9 |
Endnote |
9 |
Zur Sache:
Prüfungsstoff: protokollfest, aktuelle Fälle
Prüfungsthemen: Es ging um den BGH, Beschl. v. 19.12.2023 − 4 StR 325/23
Paragraphen: §223 StGB, §244 StGB, §25 StGB
Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, verfolgt Zwischenthemen
Prüfungsgespräch:
Der Prüfer teilte einen gedruckten Sachverhalt aus, der sehr lang war und an eine Entscheidung des BGH angelehnt war (BGH, Beschl. v. 19.12.2023 − 4 StR 325/23). Zu Beginn verlas der Prüfer den langen Sachverhalt (eine ganze Din-A4-Seite), der aus drei Tatkomplexen bestand: „Die Angekl. ist dreifache Mutter und leidet seit unbekannter Zeit an dem sog. Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, einer artifiziellen Störung, die sich spätestens kurz nach der Geburt ihrer zweiten Tochter M im Jahr 2014 manifestierte. Diese Erkrankung führte dazu, dass sie in Bezug auf ihre Kinder Krankheitssymptome gegenüber Ärzten und ihrem sozialen Umfeld fingierte oder deutlich dramatisierte, um hierdurch medizinisch nicht indizierte Eingriffe zu veranlassen. In der Folge wollte sie sich als besorgte und aufopferungsvolle Mutter von vermeintlich schwerkranken Kindern gerieren, um auf diese Weise – insbesondere im Rahmen eines sozialen Netzwerks, in dem sie ausführlich über den Krankheitsverlauf ihrer Kinder berichtete – Wertschätzung von Dritten zu erfahren. Vor diesem Hintergrund kam es zu folgenden Taten: Nachdem die Angekl. wiederholt gegenüber Ärzten eine – tatsächlich nicht existente – Verstopfungsproblematik bei ihrer Tochter M behauptet hatte, worauf mehrere ergebnislos verlaufende Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte des Kleinkindes folgten, veranlasste sie durch ihre bewusst falschen Angaben die Hausärztin zu einer erneuten stationären Einweisung ihrer Tochter und blieb auch im Aufnahmegespräch im Krankenhaus bei ihrer unwahren Behauptung. Aufgrund dieser anamnestischen Angaben der Angekl. diagnostizierte der Chefarzt der kinderchirurgischen Abteilung eine tatsächlich nicht bestehende „unklare Darmtransportstörung“ und empfahl zur diagnostischen Abklärung die vorübergehende Anlage eines künstlichen Darmausgangs. Die Angekl. willigte nach Aufklärung über die Operationsrisiken in die Behandlung ein, wobei ihr bewusst war, dass sie – unter Instrumentalisierung der auf ihre Angaben vertrauenden Ärzte – ihrer Tochter hierdurch eine potenziell lebensgefährliche Körperverletzung zufügen würde; sie nahm dies billigend in Kauf. Der künstliche Darmausgang wurde schließlich am 3.11.2015 in einer unter Vollnarkose durchgeführten, mehrstündigen Operation gelegt, bei der die Bauchwand mittels eines Schnitts eröffnet wurde. Es handelte sich um eine – komplikationsfrei verlaufende – chirurgische Standardprozedur, die generell dazu geeignet war, eine Lebensgefahr für das damals eineinhalb Jahre alte Kind herbeizuführen. In Bezug auf ihre jüngste Tochter A gab die Angekl. gegenüber den Ärzten tatsächlich nicht bestehende Atmungsprobleme sowie eine Trinkschwäche an. Hierauf folgten mehrere medizinisch nicht angezeigte Krankenhausaufenthalte des Säuglings. Auch im Rahmen einer weiteren stationären Aufnahme blieb sie bei ihrer unwahren Behauptung. Wie von ihr beabsichtigt, stellten die behandelnden Ärzte – auf ihre Angaben vertrauend – die Indikation zur Legung einer PEG-Sonde. Der Angekl. war hierbei bewusst, dass dies einen medizinisch nicht angezeigten operativen Eingriff erforderlich machen würde, der generell mit einer Lebensgefahr für den Säugling verbunden war. Gleichwohl willigte sie nach Aufklärung über die Operationsrisiken in den Eingriff ein, weil es ihr wiederum darauf ankam, sich in der Folgezeit als fürsorgliche Mutter eines schwerkranken Kindes zu inszenieren. Die PEG-Sonde wurde am 16.8.2018 im Rahmen einer unter Vollnarkose erfolgten, 20 Minuten dauernden Operation gelegt. Dieser Eingriff, bei dem unter anderem die Bauchdecke des Säuglings durchstochen wurde, verlief komplikationsfrei. Ab dem 18.8.2018 entschloss sich die Angekl., ihrer jüngsten Tochter gezielt die zur Nahrungsgabe über die PEG-Anlage vorgesehene Sondennahrung teilweise vorzuenthalten. Sie wollte den hierdurch herbeigeführten Gewichtsverlust als Vorwand für weitere, medizinisch nicht indizierte Maßnahmen verwenden, insbesondere zur Anlage eines Tracheotomie, um sich wiederum als fürsorgliche Mutter in Szene zu setzen. Der Angekl. war hierbei bewusst, dass ihr auf Gewichtsreduktion abzielendes wiederkehrendes Unterlassen zu andauernden körperlichen Schmerzen bei ihrer Tochter führen würde und zudem allgemein geeignet war, eine Lebensgefahr für den elf Monate alten Säugling zu begründen. Aufgrund der folgenden partiellen Nahrungsvorenthaltung diagnostizierte ein von der Angekl. aufgesuchter Kinderarzt am 01.10.2018 einen Unterernährungszustand und stellte eine Krankenhauseinweisung aus. Dort wurde im Rahmen der Aufnahme am Folgetag bei dem nur noch 5.200g wiegenden Säugling ein Gewichtsverlust von 1.180 g innerhalb der vergangenen sieben Wochen festgestellt. Gleichwohl setzte die Angekl., der auf ihren ausdrücklichen Wunsch gestattet worden war, ihrer Tochter die Sondennahrung selbst zu verabreichen, den teilweisen Nahrungsentzug im Krankenhaus weiter fort. Der Säugling befand sich schließlich in einem derart unterernährten Zustand, dass bereits ein einfacher Alltagsinfekt oder eine sonstige leichte körperliche Erkrankung oder Komplikation zu dem Eintritt einer konkreten Lebensgefahr geführt hätte“. Der Prüfer prüfte streng nach alphabetischer Reihenfolge, gab aber auch einzelne Fragen an alle frei. Zunächst wollte er wissen, welche Strafbarkeiten in Betracht kommen. Genannt wurden insbesondere die §§ 223, 224 StGB. Darauf aufbauend wollte er hören, was eigentlich eine Qualifikation sei. Im weiteren Verlauf ging es noch um die Abgrenzung von Handlungs- und Erfolgsqualifikationen sowie Strafzumessungsregelungen. In der Prüfung des § 223 StGB ging es zunächst insbesondere um die Frage der mittelbaren Täterschaft, ob also die Ärzte ein Defizit haben. Der Prüfer wollte dabei insbesondere die Tatherrschaft definiert haben und wissen, welche Theorien es neben der Tatherrschaftslehre gibt. Im weiteren Verlauf ging es um den § 224 I Nr. 2 Als. 2 StGB. Der Prüfer wollte wissen, ob das Arztbesteck tatbestandlich ein gefährliches Werkzeug darstellt und wie der BGH das Sehen würde. Dabei ging es ihm um den § 323a StGB a.F., weshalb der BGH früher noch die Frage verneint hatte. Als StPO-Zusatzfrage wollte der Prüfer wissen, wann eine Person als Angeklagter zu bezeichnen ist, wobei er auf den § 157 StPO hinauswollte.
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hessen vom Juni 2024. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.