Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Orginal-Mitschrift aus dem Zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hamburg vom Oktober 2015. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsgespräch:
Los ging es mit einem Fall zum Prozessrecht, den der Prüfer mündlich so schilderte, dass man problemlos mitschreiben konnte:
Ein Werkunternehmer hat vor dem LG auf Werklohn gegen seinen Auftraggeber geklagt, der diesem Anspruch Mängeleinreden entgegengehalten hat. Einem Subunternehmer des Klägers wurde der Streit verkündet und dieser hat zugestimmt. Der Subunternehmer ist zudem als Zeuge vernommen und es ist über die Mängel ein Sachverständigengutachten eingeholt worden. Um den Rechtsstreit beizulegen, haben dann der nicht anwaltlich vertretene Subunternehmer und der Beklagte noch im Termin einen richterlich protokollierten Vergleich geschlossen, wonach (u.a.) der Subunternehmer verpflichtet ist, „die Mängel, die auf S. XY des Sachverständigengutachtens vom XY dargestellt sein, zu beheben“.
Erste Frage: Ist so ein Vergleich zwischen Beklagtem und einem Zeugen/Streithelfer nach der ZPO zulässig und kann er somit überhaupt den Prozess beenden? Antwort: Ja, § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO stellt klar, dass ein Vergleich nicht nur zwischen Parteien, sondern auch zwischen einer Partei und einem Dritten (hier dem Subunternehmer) geschlossen werden kann.
Welches Problem könnte sich hier im Hinblick auf die Vollstreckung aus dem Vergleich stellen?
Fraglich ist die Bestimmbarkeit des Umfangs der Leistungspflicht des Subunternehmers, da der Vergleich im Hinblick auf die Mängel nur auf das SV-Gutachten verweist. Ein Gerichtsvollzieher, der als mögliches Vollstreckungsorgan das Protokoll über den Vergleich in die Hand bekäme, könnte ohne das Gutachten nicht erkennen, was der Subunternehmer denn genau zu tun verpflichtet ist. Wie wird das Problem in der Praxis gelöst? Das SV-Gutachten wird gemäß § 160 Abs. 5 ZPO dem Protokoll als Anlage beigefügt und in ihm als solche bezeichnet.
Nun wollte der Prüfer wissen, ob sich noch ein weiteres Problem dadurch ergeben würde, dass der Vergleich in einem Prozess vor dem LG geschlossen worden sei. Wir kamen dann darauf, dass hier die Wirksamkeit der Prozesshandlung des Subunternehmers an seiner fehlenden Postulationsfähigkeit scheitern könnte, weil er nicht anwaltlich vertreten war. Eine ausführlich diskutierte Auslegung von § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO ergab dann, dass dieser nicht dem subjektiven Schutz von Prozessbeteiligten vor fehlerhaften oder übereiltem Prozessverhalten, sondern objektiv der Gewähr eines möglichst effizienten Zivilverfahrens in den regelmäßig komplexeren Angelegenheiten vor dem LG dient und somit hier nicht entsprechend auf den Subunternehmer als Zeugen/Streithelfer, der einen Prozessvergleich schließt, anzuwenden ist. So jedenfalls auch der BGH. Somit ist der Prozessvergleich wirksam geschlossen worden und hat den Prozess beendet.
Der zweite Fall hatte dann einen materiell-rechtlichen Schwerpunkt. Als Sachverhaltsgrundlage dienten vier kopierte Seiten, die der Prüfer bereits vor der Prüfung auf den Tischen der Kandidaten bereitgelegt hatte. Der Prüfer bat uns, zunächst nur die erste Seite zu lesen und ging dann im Laufe der Prüfung immer weiter im Text voran, wobei aus meiner Sicht grundsätzlich genug Zeit blieb, die jeweils einschlägige Stelle zu einer Frage nachzulesen. Nachfragen zum konkreten Textbezug einer Frage bewertete der Prüfer soweit ersichtlich nicht negativ.
Auf den ersten beiden Seiten war ein Kaufvertrag über einen Bauernhof abgedruckt, der unter die niedersächsische Höfeordnung fiel und von Eheleuten an einen Käufer veräußert worden war. Zunächst schilderte der Prüfer grob den Inhalt dieser Höfeordnung, wonach Höfe nur insgesamt veräußert und das Eigentum an ihnen nur insgesamt übergehen könne, und wollte dann wissen, welche Auswirkungen dies habe bzw. welchem Zweck dies wohl diene. Antwort: Die Verkehrsfähigkeit der Höfe ist eingeschränkt, um eine Zersplitterung der Agrarlandschaft durch im weitere Aufspaltung von Höfen etwa im Zuge von Erbfolgen mit mehreren gleichberechtigten Erben zu verhindern.
Als nächstes betrachteten wir eine Klausel in dem Vertrag, wonach der Käufer den Eheleuten ein lebenslanges unentgeltliches Nutzungsrecht an dem Wohnhaus auf dem Hof eingeräumt hatte. Wir diskutierten zunächst abstrakt, ob in Anbetracht der nach der Höfeordnung beschränkten Verkehrsfähigkeit des Eigentums an dem Hof dingliche „Ausschnittsrechte“ hiervon wie etwa eine Dienstbarkeit eingeräumt werden können, stellten dann aber fest, dass vorliegend nur eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen wurde, was zulässig ist. Im Anschluss hieran fand sich ein Passus, wonach die veräußernden Eheleute jederzeit berechtigt sein sollten, eine Ablösung des Nutzungsrechts durch den Käufer in Höhe des aktuellen Marktpreises des Hauses zu verlangen, wenn sie dort nicht mehr wohnen möchten. Der aktuelle Marktpreis sollte in diesem Falle durch einen unabhängigen Sachverständigen ermittelt werden. Hierzu fragte der Prüfer danach, was wir aus der Position eines RA des Käufers raten würden. Antwort: Wir würden von der Klausel dringend abraten, da sie das Recht zur Forderung der Ablösesumme allein ins Belieben der Verkäufer stellt und zudem nach der Klausel die ganze Ablöseforderung direkt mit dem Anfordern durch die Eheleute fällig wird.
Der Prüfer verwies dann auf die im Folgenden abgedruckten E-Mails, wonach die Eheleute tatsächlich etwa 25 Jahre nach Vertragsschluss die Ablösung des Nutzungsrechts nach dieser Klausel verlangt hatten. Unmittelbar danach sei jedoch der Ehemann verstorben. Kann dies Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Ablöseverlangens haben? Nein, eine Willenserklärung unter Abwesenden ist selbst dann wirksam, wenn der Erklärende nach Abgabe, aber vor Zugang verstirbt, vgl. § 153 BGB. Im Weiteren waren dann noch die Klageanträge der Erben der Eheleute abgedruckt, die anschließend zum einem auf Zahlung einer Ablösesumme von 295.000 € und zum anderen – in unbedingter objektiver Klagehäufung – auf Feststellung des Annahmeverzugs des Käufers in Bezug auf eine weitere Leistungspflicht der Eheleute aus dem Kaufvertrag, die durch die Ausübung des Rechts zur Ablösung ausgelöst worden und Zug-um-Zug zu erfüllen war, geklagt hatten. Hierzu wollte der Prüfer zunächst wissen, wozu wohl der Feststellungsantrag diene. Mittels der bei Erfolg der Klage zu tenorierenden Feststellung des Annahmeverzugs können die Vollstreckungsvoraussetzungen nach §§ 756 Abs. 1, 765 Nr. 1 ZPO sichergestellt werden, da die Ausfertigung des Urteils eine öffentliche Urkunde im Sinne dieser Vorschriften darstellt. Welche beweisrechtliche Besonderheit haben öffentliche Urkunden? Im Gegensatz zur Privaturkunde begründen sie nicht nur Beweis über ihren Aussteller, sondern auch über ihren Inhalt (hier über den Annahmeverzug) §§ 417, 418 ZPO.
Zuletzt kam der Prüfer noch auf den ersten Antrag zu sprechen: Wo liege hier das Problem? Wir kamen schließlich darauf, dass hier schon ein bestimmter Leistungsantrag gestellt wurde, obwohl der Vertrag vorsieht, dass der Marktpreis des Wohnhauses von einem SV festgestellt werden soll. Worum handelt es sich hierbei? Um eine Schiedsgutachterklausel, welche im Gegensatz zu einer Schiedsgerichtsbarkeitsklausel (vgl. §§ 1025 ff. ZPO) nicht der Zulässigkeit der Leistungsklage, aber doch der Begründetheit im Hinblick auf den Antrag auf Zahlung von 295.000 € bis zur Erstellung des SV-Gutachtens entgegensteht. Daher war die Klage „bis auf Weiteres“ abzuweisen.
Viel Erfolg!
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