Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Schleswig-Holstein vom Juni 2016

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem Ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Schleswig-Holstein vom Juni 2016. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen:  Öffentliches Recht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1 2 3
Vorpunkte 30 44 71
Aktenvortrag 1 1 1
Zivilrecht 7 8 14
Strafrecht 8 9 12
Öffentliches Recht 8 10 14
Endpunkte 53 71 112
Endnote 5,88 7,88 12,44

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Betretungsverbot für Fußballfans, Böhmermann-Pressemitteilung LG Hamburg

Paragraphen:  §4 LPresseG, §174 LVwVfG, §23 EGGVG

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, Diskussion, Hart am Fall, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der erste fiktive Fall war angelehnt an eine aktuelle Entscheidung des VG Darmstadt[1]: Die Stadt Kiel hat eine „Regelung“ erlassen, nach der es Fußballfans des VfB Lübeck am Wochenende des 04. und 05. Juni verboten wurde große Bereiche des Kieler Stadtgebietes zu betreten, denn zu dieser Zeit findet das Finale des Schleswig-Holsteinischen Fußballpokals zwischen dem VfB Lübeck und dem KSV Holstein statt. Weiterhin wurde dem KSV auch verboten den Fans des VfB Lübeck Karten für dieses Spiel zu verkaufen. In diese Regelung wurden Anhänger des VfB Lübeck definiert als Personen, die äußerlich dem Verein durch Fankleidung zuzuordnen sind, durch das Grölen entsprechender Fangesänge zuzuordnen sind oder durch „sonstiges typisches Auftreten“ der Lübecker Fanszene zugeordnet werden können. Die Veröffentlichung dieser Regelung erfolgte über eine Anzeige in den Kieler Nachrichten. Weiterhin ordnete die Stadt Kiel formell rechtmäßig die sofortige Vollziehung dieser Regelung an.
Begründet wurde das Betretungsverbot damit, dass es in der Vergangenheit stets zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden rivalisierenden Fanlagern gekommen ist. Dabei wurden Polizisten, Unbeteiligte Dritte und Fans verletzt und es kam zu Sachschäden.
Der Prüfer leitete die Prüfung damit ein, dass nun A, ein Fan des VfB Lübeck, am Wochenende in der Kieler Innenstadt einkaufen gehen möchte und sich daher gegen diese Regelung wendet und Rechtsrat sucht.
Die Prüflinge sollten die Zulässigkeit und Begründetheit eines Rechtsbehelfs prüfen. Der Verwaltungsrechtsweg war problemlos eröffnet. Sodann wurde in der statthaften Antragsart zunächst erörtert welchen Rechtscharakter die „Regelung“ hat. Der Prüfer war die Differenzierung zwischen einer abstrakt-generellen Gefahrenverordnung und einer konkret-generellen Allgemeinverfügung sehr wichtig. Wegen des Bezugs der Regelung zu einem konkreten Spiel liegt hier eine Allgemeinverfügung nach § 106 Abs. 2 LVwG vor. Danach wurde geprüft, ob einstweiliger Rechtsschutz notwendig ist. Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung entsteht durch einen Widerspruch oder eine Klage kein Suspensiveffekt, folglich kann nur der einstweilige Rechtsschutz das Interesse des A erfüllen. Dann folgte eine kurze Abgrenzung zwischen einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 123 VwGO. Es ist hier ein Antrag nach § 80 V VwGO statthaft.
Weitere Prüfungspunkte in der Zulässigkeit wurden nur sehr knapp benannt. Der Prüfer legte noch wert auf die Prüfung, ob A rechtsschutzbedürftig ist, hierbei ging es insbesondere um das Standardproblem, ob für den Eilantrag eine vorherige Einlegung des Widerspruchs notwendig ist. Der Prüfer legte Wert auf eine Argumentation nahe am Wortlaut des § 80 Abs. 2 S. 1, 2 VwGO.
Dann erfolgte die Prüfung der Begründetheit. Der Prüfer wollte einen sauberen Obersatz für die Prüfung hören und wissen in welchen Fällen im Rahmen des § 80 Abs. 5 neben der üblichen Abwägung zwischen Vollzugs- und Aussetzungsinteresse noch eine weitere Interessenabwägung notwendig ist. Daraufhin wurden die Erfolgsaussichten in der Hauptsache geprüft.
Als Rechtsgrundlage für dieses behördliche Handeln kam die polizeiliche Generalklausel §§ 174, 176 LVwG oder § 201 LVwG in Betracht. Es wurden Argumente für beide Rechtsgrundlagen genannt, auf eine Entscheidung kam es nicht an.
Im Rahmen der formellen Rechtsmäßigkeit wurde kurz die besondere öffentliche Bekanntgabe gemäß § 110 Abs. 3 LVwG erläutert. Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit wurde sodann das Vorliegen einer Gefahr geprüft. Der Prüfer legte Wert auf saubere Definitionen des Gefahrbegriffs und der öffentlichen Sicherheit.
Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Bestimmtheit der Allgemeinverfügung. Dies sahen die Prüflinge und der Prüfer aufgrund der Formulierung „sonstiges typisches Auftreten“ sehr kritisch. Dabei fragte der Prüfer auch woraus sich das Bestimmtheitsgebot verfassungsrechtlich ergibt (Art. 20 Abs. 3 GG) und ob es auch einfachgesetzlich verankert ist (§ 108 Abs. 1 LVwG).
Zum Schluss der ersten Falls wurde die Verhältnismäßigkeit der Allgemeinverfügung geprüft. Es kam auf saubere Definitionen in der Verhältnismäßigkeitsprüfung an, das Ergebnis war zweitrangig. Ein Schwerpunkt lag hier bei der Erforderlichkeit der Allgemeinverfügung, denn die Prüflinge waren der Ansicht, dass Maßnahme gegen einzelne gewaltbereite Fans den Zweck wohl genauso gut fördern würde.

Für den zweiten Fall teilte uns der Prüfer eine Pressemitteilung des Landgerichts Hamburg vom 17. Mai 2016[2] aus. Gegenstand dieser Pressemitteilung war der Beschluss des LG Hamburg im Verfahren gegen Herrn Böhmermann hinsichtlich seines Gedichts „Schmähkritik“. Das LG hat hier eine einstweilige Verfügung erlassen mit dem Inhalt, dass bestimmte Passagen des Gedichts nicht mehr von Herrn Böhmermann vorgetragen werden dürfen. Diese Passagen hat das Landgericht in einem Anhang zur Pressemitteilung rot markiert abgedruckt.
Der Prüfer fragte dann, was Herr Erdogan dagegen unternehmen kann, wenn er erreichen möchte, dass das Gedicht „Schmähkritik“ aus der Pressemitteilung entfernt wird.
Vorab wurde geklärt, dass auch hier ein Eilrechtsschutz notwendig ist. Hierbei wurde § 123 VwGO für statthaft befunden. In der Zulässigkeit wurde zunächst erörtert welcher Rechtsweg für diese Streitigkeit eröffnet ist. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO liegt vor. Allerdings war fraglich, ob die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 EGGVG hier einschlägig ist. Dies wäre der Fall, wenn es sich bei der Pressemitteilung um einen Justizverwaltungsakt handelt.
Es wurde der Begriff der „sonstigen Maßnahmen“ des § 23 EGGVG ausgelegt und diskutiert, ob die Pressemitteilung eine solche ist. Es waren beide Ansichten vertretbar. Es wurde sich dann aber darauf geeinigt von der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs auszugehen.
Aus Gründen der Zeitknappheit wurde noch kurz das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Herrn Erdogan im Rahmen der Antragsbefugnis angesprochen, die Zulässigkeit ansonsten nicht weiter geprüft sondern nur noch ganz knapp die materielle Rechtmäßigkeit der Pressemitteilung erörtert.
Es wurde diskutiert, ob für diese Pressemitteilung überhaupt eine Rechtsgrundlage notwendig ist.
Nach Darstellung der vertretenen Theorien und einer Differenzierung zwischen Leistungs- und Eingriffsverwaltung wurde das Erfordernis einer Rechtsgrundlage wegen der Grundrechtsintensivität solcher Pressemitteilungen bejaht.
Nach einem Hinweis vom Prüfer, dass der Sachverhalt ja mit der Presse zu tun habe, wurde § 4 Landespressegesetz SH als Rechtsgrundlage gefunden und geprüft. Insbesondere wurden die Ausschlussgründe des Abs. 2 betrachtet und es wurde eine kurze Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Herrn Erdogan durchgeführt. Ein eindeutiges Ergebnis folgte nicht, es wurde allerdings bemerkt, dass es gewissermaßen widersprüchlich ist, dass das LG Herrn Böhmermann die weitere Veröffentlichung dieser Passagen untersagt, sie aber zeitgleich selber veröffentlicht. Kurz wurden noch alternative Handlungsmöglichkeiten des Gerichts erfragt, wie zum Beispiel die Schwärzung der entsprechenden Passagen innerhalb der Pressemitteilung.
Damit endete die Prüfung.

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