Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Bayern im Mai 2016. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsgespräch:
In meinem Termin hat der Prüfer Arbeitsrecht geprüft.
Er teilte einen kurzen Sachverhalt aus, den er am Ende wieder einsammelte. (In seiner zweiten Prüfung eine Woche später hat er jedoch einen anderen Sachverhalt geprüft.)
Der Prüfer prüfte einen Fall des BAG aus dem Jahr 2008 zu einer Doppelbefristungsklausel (siehe dazu BAG, Urteil vom 16. 4. 2008 – 7 AZR 132/07). Sachverhalt und Wortlaut der Klausel waren identisch. Er erwartete die Lösung des BAG.
Die Klägerin war seit dem 1. November 2005 auf Grund eines Arbeitsvertrags vom 31. Oktober 2005 bei der Beklagten als Verkäuferin beschäftigt. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise:
„§ 1. Anstellung und Probezeit
Der/die Arbeitnehmer/-in wird vom 01. November 2005 bis 31. Oktober 2006 * * als Verkäuferin in (Arbeitsort) G zeitlich befristet nach § 14 Abs. 2 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge eingestellt. Es handelt sich um eine Neueinstellung. Der/die Arbeitnehmer/-in versichert, dass er/sie bisher zuvor bei dem Arbeitgeber noch nicht beschäftigt war. Die ersten sechs Monate gelten als Probezeit. Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf dieser Probezeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.“
Der erste Prüfling sollte feststellen, dass es sich um eine sog. Doppelbefristungsklausel handelt.
Von einem anderen Kandidaten wollte er dann Hintergründe zur Existenz des TzBfG erfahren. Er wollte detailliertes Hintergrundwissen hören, Sinn und Zweck des TzBfG sowie den Verweis in § 620 III BGB.
Danach fragte er der Reihe nach in Abschnitten nach der Lösung des Falles. Die Lösung des BAG ist folgende:
Die Klage ist zulässig.
Bei der Klage handelt sich trotz des Wortlauts des zuletzt gestellten, an §17 Satz 1 TzBfG orientierten Klageantrags nicht ausschließlich um eine Befristungskontrollklage nach § 17 Satz 1 TzBfG, mit der die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristung zum Ablauf der Probezeit am 30. April 2006 geltend macht, sondern auch um eine allgemeine Feststellungsklage i.S.v. § 256 Abs. 1 ZPO, mit der sie sich auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 31. Oktober 2006 beruft. Dies ergibt sich aus der zur Auslegung des Klageantrags heranzuziehenden Klagebegründung. Danach hält die Klägerin die Befristung zum 30. April 2006 nicht nur wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam. Sie meint auch, dass die Befristungsabrede zum Ablauf der Probezeit eine Überraschungsklausel darstelle, die nach § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden sei. Damit macht die Klägerin geltend, eine Befristung zum 30. April 2006 sei gar nicht vereinbart worden. Dies hat nicht mit einer Befristungskontrollklage nach § 17 Satz 1 TzBfG zu geschehen, sondern mit einer allgemeinen Feststellungsklage gem. § 256 ZPO.
Für beide Klageanträge hat die Klägerin ein Rechtsschutzinteresse, weil sich die Beklagte der (vorzeitigen) Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2006 berühmt.
Die Klage ist begründet.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht mit Ablauf der Probezeit am 30. April 2006 geendet. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarungen im Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 2005 zu Recht als Allgemeine Geschäftsbedingungen angesehen, auf die §§ 305 ff. BGB anzuwenden sind. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend angenommen, dass es sich bei der Befristung zum Ablauf der Probezeit in § 1 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags um eine überraschende Klausel handelt, die nach § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden ist. Selbst wenn die Regelung Vertragsbestandteil geworden sein sollte, wäre sie unwirksam, da sie dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht genügt.
Bei den in dem Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 2005 getroffenen Vereinbarungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. §§ 305 ff. BGB.
Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrags stellt. Dies trifft auf den Arbeitsvertrag der Parteien vom 31. Oktober 2005 zu.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts findet das Vertragsformular im Einzelhandel bundesweit Verwendung und wird von der Beklagten regelmäßig bei Abschluss zeitbefristeter Arbeitsverträge benutzt. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht aus dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags auf den Charakter der Vertragsbestimmungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen geschlossen. Der Vertragstext ist ersichtlich für eine Mehrzahl von Fällen vorformuliert und enthält lediglich einzelne auf den individuellen Sachverhalt zugeschnittene Eintragungen. Im Übrigen stellt auch die Beklagte den Charakter der Vertragsbestimmungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv §§ 305 ff. BGB nicht in Abrede.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die in § 1 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags enthaltene Befristung zum Ablauf der Probezeit eine überraschende Klausel iSv. § 305 c Abs. 1 BGB darstellt, die nicht Vertragsbestandteil geworden ist.
Nach § 305 c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nachden Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat überraschenden Charakter iSd. Vorschrift, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Überraschenden Klauseln muss ein „Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt“ innewohnen. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Die berechtigten Erwartungen des Vertragspartners bestimmen sich nach den konkreten Umständen bei Vertragsschluss ebenso wie nach der Gestaltung des Arbeitsvertrags, insbesondere dessen äußerem Erscheinungsbild. So kann der ungewöhnliche äußere Zuschnitt einer Klausel oder ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen (ständige Rechtsprechung).
Danach handelt es sich bei der in § 1 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrags enthaltenen Befristung zum Ablauf der Probezeit um eine überraschende Klausel i.S.d. § 305 c Abs. 1 BGB. Die Klägerin brauchte auf Grund der Gestaltung von § 1 des Arbeitsvertrags und seines äußeren Erscheinungsbildes nicht mit der Vereinbarung einer Befristung zum Ablauf der Probezeit zu rechnen.
Die Befristung zum Ablauf der Probezeit befindet sich zwar nicht an einer unerwarteten Stelle des Vertrags. Sie ist in dem mit „Anstellung und Probezeit“ überschriebenen § 1 des Arbeitsvertrags und damit an der Stelle enthalten, wo sie – wenn überhaupt – zu erwarten ist. Die Befristung eines Arbeitsvertrags zum Ablauf der Probezeit als solche ist eine im Arbeitsleben übliche Vertragsgestaltung und in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG ausdrücklich gesetzlich vorgesehen. Deshalb ist in einem Arbeitsvertrag unter der Überschrift „Probezeit“ nicht nur eine Regelung zu abgekürzten Kündigungsfristen zu erwarten, wie das Landesarbeitsgericht meint, sondern grundsätzlich auch eine Befristung zum Ablauf der Probezeit.
bb) Das Überraschungsmoment ergibt sich aber aus der inhaltlichen Gestaltung und dem äußeren Erscheinungsbild von § 1 des Arbeitsvertrags.
Im Übrigen wäre die Befristung zum Ablauf der Probezeit – sollte sie Vertragsbestandteil geworden sein – nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da die Regelung in § 1 des Arbeitsvertrags dem Transparenzgebot ( § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht genügt.
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Nach der Rechtsprechung des Senats muss eine vom Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gewählte Befristungsabrede wegen der weitreichenden wirtschaftlichen Folgen, die mit der Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses verbunden sind, den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den durchschnittlichen Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennen lassen.
Der Prüfer erwartete die Lösung des BAG. Dabei gab er gewisse Hilfestellungen.
Viel Erfolg für eure Prüfung!
Du suchst die optimale Vorbereitung auf deine Mündliche Prüfung?
Du suchst Gesetzestexte und Kommentare für deine Mündliche Prüfung und den Aktenvortrag? Schau mal bei JurCase.com vorbei, denn da gibt es die gesuchte Fachliteratur zur kostengünstigen Miete oder auch zum Kauf.