Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Unzulässige Gerichtsstandsbestimmung bei Klageerweiterung auf weitere Beklagte (OLG Hamm; Beschluss vom 10.08.2015 – 32 SA 10/15) Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.
Prüfungswissen: Der Gerichtsstand, §§ 12 – 40, 281 ZPO
I. Gerichtsstand, §§ 12 – 40, 281 ZPO
Bei der örtlichen Zuständigkeit stellt sich die Frage, welches Gericht an welchem Ort zur Entscheidung über die Sache berufen ist. Die örtliche Zuständigkeit wird auch Gerichtsstand genannt.
Zunächst sind stets die ausschließlichen Gerichtsstände zu prüfen, da dort die Klage erhoben werden muss (vgl. § 12 ZPO).
Besondere und allgemeine Gerichtsstände stehen nebeneinander, so dass der Kläger insofern die Wahlmöglichkeit hat (§ 35 ZPO). Ein Gerichtsstand kann nach § 39 ZPO auch durch rügelose Einlassung begründet werden.1. Ausschließlicher Gerichtsstand
Kein anderer Gerichtsstand ist eröffnet beim dinglichen Gerichtsstand (§ 24 ZPO), für Miet – und Pachtverhältnisse (§ 29a ZPO), bei Umwelteinwirkung (§ 32a ZPO), bei Gerichtsstandsvereinbarung (§ 40 II ZPO) sowie für die Gerichtsstände in der Zwangsvollstreckung (§ 802 ZPO).
2. Allgemeiner Gerichtsstand
Der allgemeine Gerichtsstand einer natürlichen Person ist nach §§ 12, 13 ZPO der Wohnsitz (§§ 7 ff. BGB), sofern nach §§ 15 – 19 ZPO keine Besonderheiten gelten. Die Begründung eines Wohnsitzes geschieht durch tatsächliche Niederlassung verbunden mit dem Willen, den Ort zum ständigen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse zu machen.
3. Besonderer Gerichtsstand
Bei den besonderen Gerichtsständen führen bestimmte Umstände dazu, dass der Kläger den Beklagten nicht nur an dessen allgemeinem Gerichtsstand verklagen kann, sondern auch vor einem anderen örtlichen Gericht die Klage erheben kann. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die besonderen Gerichtsstände:
– der Niederlassung (§ 21 ZPO),
– des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO),
– bei Haustürgeschäften (§ 29c ZPO)
II. Gerichtsstandsvereinbarung (sog. Prorogation)
Nach § 38 ZPO wird ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszuges durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien zuständig, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind.
Darüber hinaus ist die Prorogation nach § 40 II ZPO grundsätzlich nur zulässig bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten hingegen ist sie unzulässig, wenn diese den Amtsgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zugewiesen ist.
Schließlich kann eine Gerichtsstandsvereinbarung nach § 40 I ZPO nur im Hinblick auf ein bestimmtes, konkretes Rechtsverhältnis getroffen werden; anderenfalls ist sie unzulässig.
Immer unzulässig ist die Vereinbarung, wenn ein ausschließlicher Gerichtsstand vorliegt (z.B. § 24 ZPO bei dinglichen Ansprüchen, § 29a ZPO bei Miet- und Pachträumen, § 32a ZPO bei schädlichen Umwelteinwirkungen, § 802 ZPO bei den vollstreckungsrechtlichen Gerichtsständen).
III. Gerichtsstandsbestimmung, § 36 ZPO (vgl. BeckOK ZPO/Toussaint ZPO § 36 Rn. 1-2)
Die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen dienen der Abgrenzung der Geschäftskreise der einzelnen Gerichte und Rechtspflegeorgane (vgl. MüKo-ZPO/Wöstmann § 1 Rn. 6). Sie dürfen nicht dazu führen, dass bestehende Rechte nicht geltend gemacht werden können, weil ein zuständiges Gericht nicht gefunden werden kann. Die Gewährleistung eines lückenlosen Rechtsschutzes (vgl. Stein/Jonas/Roth Rn. 1) erfolgt über das Verfahren der (ober-) gerichtlichen Zuständigkeitsbestimmung nach den §§ 36, 37 (ähnl. Regelungen enthalten § 2 ZVG, § 5 FamFG). Dieses Verfahren dient dabei selbst nicht der Verwirklichung der Rechte und Ansprüche der Parteien, sondern der vorbereitenden Findung des Gerichts, dem diese Aufgabe demnächst obliegt (RGZ 125, 299 (312); BGHZ 19, 102 (106) = NJW 1956, 183 (184)). Ihm liegt der Gedanke zugrunde, einem die Rechtsverfolgung verzögernden Streit der Gerichte untereinander über ihre Zuständigkeit durch eine bindende Zuweisung ein möglichst rasches Ende zu machen (vgl. BGH NJW 2008, 3789 Rn. 10 m.w.N.).
Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:
1. wenn das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Fall an der Ausübung des Richteramtes rechtlich oder tatsächlich verhindert ist;
2. wenn es mit Rücksicht auf die Grenzen verschiedener Gerichtsbezirke ungewiss ist, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig sei;
3. wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist;
4. wenn die Klage in dem dinglichen Gerichtsstand erhoben werden soll und die Sache in den Bezirken verschiedener Gerichte belegen ist;
5. wenn in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte sich rechtskräftig für zuständig erklärt haben;
6. wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Juli 2016