Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Grenzen für Anscheinsbeweis gegen Rückwärtsfahrenden bei Parkplatzunfall (BGH; Urteil vom 15.12.2016 – VI ZR 6/15) Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.
A. Prüfungswissen: Der Anscheinsbeweis (sog. prima-facie-Beweis)
Ein Anscheinsbeweis liegt vor, wenn es eine allgemeine Lebenserfahrung hinsichtlich eines typischen Geschehensablaufs gibt. Diese Lebenserfahrung ist auf generalisierbare Erfahrungssätze zurückzuführen (Ursache – Wirkung). Der Anscheinsbeweis ist ein mittelbarer Beweis.
Die Darlegungs– und Beweislast geht beim Anscheinsbeweis dahin, nachzuweisen, dass ein typischer Geschehensablauf anzunehmen ist, der auf eine typische Ursache zurückzuführen ist. Dies spielt bei der Feststellung des Verschuldens eine große Rolle, vor allem im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen („Wer auffährt, ist schuld.“). Ob der Anscheinsbeweis auch für die Kausalität gelten kann, ist strittig (vgl. hierzu BGH NJW 1954, 1119; BGHZ 11, 227).Ausgeschlossen ist ein Anscheinsbeweis, wenn es auf die individuelle Entscheidungsfreiheit und individuell geprägte Verhaltensweisen ankommt, da hier nicht auf allgemeine Erfahrungssätze zurückgegriffen werden kann.
Der Anscheinsbeweis stellt eine Beweiserleichterung für den Beweisverpflichteten dar. Soweit es dem Beweisgegner allerdings gelingt, den Anscheinsbeweis durch einen Gegenbeweis zu erschüttern, lebt die ursprüngliche Beweispflicht wieder auf und der Vollbeweis ist zu erbringen. Der Anschein ist dann erschüttert, wenn der Beweisgegner Tatsachen vorträgt und beweist, die den Schluss auf einen atypischen Geschehensablauf zulassen (vgl. grundlegend BGHZ 2, 1; 6, 169; 7, 198; 8, 239).
Auch im Gesetz können Anscheinsbeweise geregelt sein. Insofern sieht § 292a ZPO einen gesetzlichen Anscheinsbeweis bezüglich der Echtheit eines elektronischen Dokumentes bei qualifizierter elektronischer Signatur i.S.d. § 126a BGB vor.
Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) September 2016