Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – NRW im November 2016

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im November 2016. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1 2 3 4 5 6
Vorpunkte 54 73 52 55 48 44
Aktenvortrag 9 9 11 8 8 5
Prüfungsgespräch 11 15 15 11 10 9
Endnote 8,25 10,87 9,50 8,22 7,40 6,50
Endnote (1. Examen) 10,74

Zur Sache:

Prüfungsstoff:  protokollfest

Prüfungsthemen: Erpressung, Hehlerei, Revisionsrecht

Paragraphen: §253 StGB, §240 StGB, §259 StGB, §265 StPO, §231 StPO

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, verfolgt Zwischenthemen, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer beschrieb einen entscheidungsreifen Fall, bei dem aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Abschlussentscheidung zu treffen ist.
D beklaute in der Fußgängerzone einen Touristen und erbeutete dessen Geldbörse mit einem Inhalt von 2.000,- €. Dabei wurde er von B (dem Beschuldigten) beobachtet. Sodann verfolgte der B den D und sprach ihn schließlich darauf an, den Diebstahl beobachtet zu haben. B forderte den D auf, ihm die Geldbörse zu zeigen um zu erfahren, welche Geldsumme sich darin befand. D kam der Anweisung nach. Schließlich forderte B den D auf, ihm die Hälfte des Geldes zu geben. Andernfalls würde er zur Polizei gehen und den vorangegangenen Diebstahl anzeigen. Daraufhin übergab D dem B 1.000,- € und anschließend gingen beide auseinander. Letztendlich kommt die Sache trotzdem raus und kann von der Polizei vollständig aufgeklärt werden.
Was wird die Staatsanwaltschaft in Bezug auf B tun? Sie kann Anklage erheben, wenn hinreichender Tatverdacht besteht. Dann war (wie schon in vielen anderen Prüfungen bei diesem Prüfer) der hinreichende Tatverdacht zu definieren. Er wollte auch wissen, welche anderen Verdachtsstufen es noch gibt und wie diese definiert werden. Wo findet man in der StPO normative Anknüpfungspunkte für die Verdachtsstufen (§§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1, 203 StPO) und welche Maßnahmen kann die Staatsanwaltschaft bei Vorliegen der jeweiligen Verdachtsstufe ergreifen? Z. B. ist u. a. der dringende Tatverdacht Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis.
Als zunächst in Frage kommende Straftatbestände wurden § 240 und § 253 StGB genannt. Zuerst wurde § 253 StGB geprüft und im Ergebnis bejaht. Dabei wurde insbesondere auch die Streitfrage erörtert, ob als tatbestandsmäßige Opferreaktion zwingend eine Vermögensverfügung vorliegen muss (Literatur) oder ob jedes Tun, Dulden, Unterlassen ausreicht (Rechtsprechung). Ebenso wurde auf die von Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich definierten Vermögensbegriffe im Zusammenhang mit dem Vermögensnachteil i. S. d. § 253 StGB eingegangen.
An diesem Punkt stellte Der Prüfer die ebenfalls aus vielen anderen Protokollen bekannte Frage, ob die Staatsanwaltschaft an die Rechtsauffassung der Rechtsprechung gebunden ist oder ob sie auch der Literatur folgen kann. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden: Hält die Staatsanwaltschaft eine Tat entgegen der Rechtsprechung für strafbar, so kann sie ohne weiteres stets Anklage erheben. Problematischer ist es, wenn die Rechtsprechung ein Verhalten als strafbar beurteilt und die Staatsanwaltschaft der Ansicht ist, dass Straflosigkeit vorliegt und deswegen nicht anklagen will. Gegen eine Bindung an die Rechtsprechung spricht, dass die Staatsanwaltschaft ein selbständiges Organ der Rechtspflege ist und nach § 150 GVG keine Abhängigkeit von den Gerichten besteht.
Die besseren Gründe sprechen jedoch dafür, dass die Staatsanwaltschaft in einem solchen Fall der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgen und daher Anklage erheben muss. Nach Art. 92 GG obliegt die Rechtsprechung – und damit auch die Beurteilung strafbaren Verhaltens – den Richtern und nicht der Staatsanwaltschaft. Außerdem gebietet Art. 3 GG die Gleichheit vor dem Gesetz, was jedoch nicht gewährleistet wäre, wenn jeder Staatsanwalt in gleichgelagerten Fällen nach Belieben von der einheitlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH abweichen könnte. Außerdem ist es vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung allein dem Gesetzgeber vorbehalten, eine rechtspolitisch unerwünschte Rechtsprechung durch entsprechende Gesetzesänderungen zu korrigieren.
Die Prüfung von § 253 StGB endete damit, dass die Rechtswidrigkeit bei diesem Tatbestand positiv festzustellen ist und nicht allein durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert wird. Das entscheidende Stichwort ist hier die Zweck-Mittel-Relation gewesen. Dasselbe gilt für die Rechtswidrigkeit im Rahmen von § 240 StGB, der vorliegend jedoch konkurrenzrechtlich zurücktritt.
Anschließend prüften wir noch § 259 StGB. Der Tatbestand war im Ergebnis zu verneinen, weil das Merkmal des „sich verschaffen“ nicht vorliegt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Täter der Hehlerei die Sache einvernehmlich mit dem Willen des Vortäters erlangt. In diesem Zusammenhang haben wir noch kurz über den Strafzweck von § 259 StGB gesprochen.
Im Anschluss an die materiell-rechtliche Prüfung fragte Der Prüfer (wie auch sonst schon häufiger), welche Möglichkeiten einer Abschlussentscheidung die Staatsanwaltschaft grds. hat.
Hierbei sollte zunächst nur alles aufgezählt werden: Anklage nach § 170 Abs. 1 StPO, Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO, Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO, Verweisung auf den Privatklageweg nach § 376 StPO, beschleunigtes Verfahren nach §§ 417 ff. StPO, Einstellung nach §§ 153 ff. StPO.
Dann ging es darum, die Unterschiede zwischen § 153 StPO und § 153a StPO herauszuarbeiten und den Ablauf eines Klageerzwingungsverfahrens zu erklären. Auch diese Aspekte fragt Der Prüfer sehr häufig ab.
Anschließend stellte Der Prüfer dann noch einen seiner bekannten Revisionsfälle:
Es findet eine Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht – Strafrichter – statt. Dem Angeklagten, der keinen Verteidiger hat, wird Diebstahl vorgeworfen. Die Hauptverhandlung beginnt ordnungsgemäß und nimmt zunächst auch fehlerfrei ihren Lauf. Mitten während der Beweisaufnahme verlässt der Angeklagte den Sitzungssaal, weil er keine Lust mehr hat. Der Vorsitzende vernimmt trotzdem einen weiteren Zeugen, schließt die Beweisaufnahme und der Staatsanwalt plädiert. Der Tatvorwurf des Diebstahls hat sich aus Sicht des Richters nicht bestätigt, jedoch ist er sich sicher, dass der Angeklagte bei der Tat Schmiere gestanden hat. Der Vorsitzende verurteilte den Angeklagten daher wegen Beihilfe zum Diebstahl.
Die Zulässigkeit einer Revision wurde vom Prüfer unterstellt. Zu Beginn der Begründetheitsprüfung kam zunächst die allgemeine Frage, welche Arten von Revisionsgründen es gibt und worin der Unterschied besteht. Es gibt absolute und relative Revisionsgründe. Bei absoluten Revisionsgründen beruht das Urteil unwiderleglich auf einer Verletzung des Gesetzes. Darüber hinaus prüft das Revisionsgericht von Amts wegen etwaige Verfahrenshindernisse. Vorliegend kam § 338 Nr. 5 i. V. m. § 231 Abs. 1 StPO als Revisionsgrund in Betracht. Als Ausnahme von der Anwesenheitspflicht könnte jedoch § 231 Abs. 2 StPO einschlägig sein. Bei der Prüfung der Voraussetzungen stellten wir fest, dass sich der Angeklagte eigenmächtig aus der Hauptverhandlung entfernt hat. Er muss auch schon zur Anklage vernommen worden sein, da das Gericht bereits in die Beweisaufnahme eingetreten ist (vgl. §§ 243, 244 Abs. 1 StPO). Eine Anwesenheitspflicht besteht nur bei wesentlichen Teilen der Hauptverhandlung. Der Angeklagte hatte durch seine Abwesenheit zwar keine Möglichkeit, den weiteren vernommenen Zeugen zu befragen, ein Schlussplädoyer zu halten und das Recht des letzten Wortes wahrzunehmen. Hierin liegt allerdings kein Verstoß gegen die Anwesenheitspflicht, da der Angeklagte freiwillig auf diese Rechte verzichten konnte. Diese sind disponibel.
Jedoch war wegen der Verurteilung zu §§ 242, 27 StGB und nicht wie angeklagt wegen § 242 StGB ein gerichtlicher Hinweis nach § 265 StPO erforderlich. Auf den Zugang dieses Hinweises hat der Angeklagte nicht verzichten können. Vielmehr war seine Anwesenheit in diesem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung erforderlich, da eine Hinweiserteilung zwingend auch einen Adressaten voraussetzt. Dann kamen wir noch allgemein auf den Zweck von § 265 StPO (Ausprägung rechtlichen Gehörs, Ermöglichen der Verteidigung des Angeklagten) und den Unterschied zu § 266 StPO zu sprechen. Im Ergebnis ist die Revision begründet.

Zum Abschluss stellte Herr H noch kurze allgemeine Fragen:
Warum ist keine Berufung gegen Urteile des LG vorgesehen? Das liegt daran, dass der Spruchkörper bei LG größer ist als beim AG und auf diese Weise auch schon ausreichend rechtliches Gehör gewährt wird.
Ebenso wurde noch kurz der Instanzenzug ausgehend vom AG beschrieben. Also Berufung zur kleinen Strafkammer am LG und Revision zum OLG.
Wie viele Strafsenate gibt es beim BGH? Es sind 5. Wie viele OLGs gibt es? Es sind 24. Wonach richtet sich die Zuständigkeit der Strafsenate beim BGH? Nach den Bezirken der OLGs.
Was ist zu tun, wenn ein Strafsenat des BGH von der Rechtsprechung eines anderen Senats abweichen will? Entscheidung durch den Großen Senat. Was ist zu tun, wenn ein oberstes Bundesgericht von der Rechtsprechung eines anderen obersten Bundesgerichts abweichen will? Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes.
Damit endete die Prüfung.

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