Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts bei Richterwechsel nach mündlicher Verhandlung (vgl. BGH in MDR 2012, 538) (BGH; Urteil vom 01.03.2012 – III ZR 84/11). Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.
Nach § 545 I ZPO kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht. Eine Rechtsverletzung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Hiervor ist bei Vorliegen der absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO stets auszugehen.
I. Vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts (§ 547 Nr. 1 ZPO)
Eine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts ist anzunehmen, wenn bei der Besetzung gegen Vorschriften des Gesetzes oder des Geschäftsverteilungsplans verstoßen wird oder der Geschäftsverteilungsplan selbst fehlerhaft ist. Zudem liegt eine vorschriftswidrige Besetzung immer dann vor, wenn ein Richter die Vorgänge in der mündlichen Verhandlung nur unzureichend wahrgenommen hat.
II. Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters (§ 547 Nr. 2 ZPO)
Die Mitwirkung eines nach § 41 ZPO ausgeschlossenen Richters bei der Entscheidung des Berufungsgerichts ist absoluter Revisionsgrund. Unschädlich ist die Mitwirkung bei einer Beweisaufnahme oder bei der Urteilsverkündung. Ein Ausschlussgrund kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn er bereits Gegenstand eines rechtskräftig zurückgewiesenen Ablehnungsgesuchs war (vgl. Musielak-Ball, § 547 ZPO Rn 7).
III. Mitwirkung eines mit Erfolg abgelehnten Richters (§ 547 Nr. 3 ZPO)
Dieser absolute Revisionsgrund greift nur ein, wenn ein mitwirkender Richter tatsächlich vor dem Fällen (§ 309 ZPO) und unterzeichnen (§ 315 ZPO) des Urteils mit Erfolg abgelehnt wurde oder ein Ablehnungsgesuch auf eine sofortige Beschwerde hin nachträglich Erfolg hat.
Wird ein Ablehnungsgesuch gestellt, über dieses aber bis zur Entscheidung über die Sache nicht entschieden, liegt kein absoluter Revisionsgrund vor. Dasselbe gilt, wenn ein Richter des pflichtwidrig unterlassen hat, seine Befangenheit nach § 48 ZPO anzuzeigen. Verstöße gegen die Anzeigepflicht (§ 48 ZPO) oder gegen die Vorschriften über die Behandlung von Ablehnungsgesuchen (§§ 45 ff. ZPO) können aber mit der Revision als Verfahrensfehler gerügt werden (vgl. Musielak-Ball, § 547 ZPO Rn 8).
IV. mangelhafte Vertretung einer Partei im Verfahren, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat (§ 547 Nr. 4 ZPO)
Hiervon umfasst ist der Fall, dass ein Prozessunfähiger ohne gesetzlichen Vertreter auftritt oder im Prozess durch eine Person vertreten wird, die weder selbst gesetzlicher Vertreter noch von diesem wirksam bevollmächtigt ist. Die h.M. wendet Nr. 4 auch auf den Fall an, dass trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei der Prozess mit dieser fortgesetzt und entschieden wird (vgl. Musielak-Ball, § 547 ZPO Rn 9).
V. Entscheidung auf Grund einer mündlichen Verhandlung, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind (§ 547 Nr. 5 ZPO)
Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens sind verletzt, wenn die Öffentlichkeit gesetzeswidrig ausgeschlossen wurde, aber auch, wenn die Öffentlichkeit zu Unrecht zugelassen wurde. Maßgebend sind die §§ 169 ff. GVG. Ausgenommen sind die Fälle, in denen der Ausschluss der Öffentlichkeit im Ermessen des Gerichts steht (§§ 171 b I 1, 172 GVG).
Die Vorschriften über die Öffentlichkeit sind auch dann verletzt, wenn bei der Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit § 174 I GVG nicht beachtet, insbesondere die Gründe für den Ausschluss nicht angegeben worden sind (§ 174 I 3 GVG), oder wenn in der Verhandlung verbotswidrig Ton-, Fernseh- oder Filmaufnahmen gemacht werden (§ 169 S. 2 GVG). (vgl. Musielak-Ball, § 547 ZPO Rn 12).
VI. Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Begründung (§ 547 Nr. 6 ZPO)
§ 547 Nr. 6 ZPO greift ohne weiteres dann ein, wenn das Berufungsurteil überhaupt keine Begründung enthält oder diese – in Gestalt des vollständig abgefassten Urteils – der Partei erst so spät zugeht, dass ihr nicht mehr die gesetzlich garantierte einmonatige Mindestfrist für die Überlegung bleibt, ob Revision eingelegt werden soll. Ein absoluter Revisionsgrund nach Nr. 6 ist daher stets dann gegeben, wenn das vollständig abgefasste Berufungsurteil nicht spätestens am letzten Tag der Fünfmonatsfrist des § 548 ZPO zugestellt worden ist.
Von dem Vorliegen einer Begründung kann darüber hinaus nur ausgegangen werden, wenn sie die tragenden Erwägungen des Berufungsgerichts zu einzelnen wesentlichen Streitpunkten erkennen lässt. Eine fehlerhafte, unklare oder rechtlich unvollständige Begründung hingegen stellt ebenso wie eine sehr knapp gefasste Begründung (z.B. durch Verweis auf andere Entscheidungen) keinen absoluten Revisionsgrund dar. Auch kommt es nicht auf die Richtigkeit oder Vertretbarkeit der Begründung kommt an. Das Berufungsgericht kann zur Begründung seiner Entscheidung auf eine gleichzeitig ergehende oder auf eine frühere, den Parteien bekannte andere Entscheidung Bezug nehmen, sofern diese in einem Verfahren ergangen ist, an dem beide Parteien beteiligt sind oder waren. Die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (§ 540 ZPO) kann als Begründung des Berufungsurteils i.S.d. Nr. 6 genügen. (vgl. Musielak-Ball, § 547 ZPO Rn 13 – 17).
Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Juni 2012