Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: keine Klagebefugnis des Mieters gegen Baugenehmigung eines Dritten auf Nachbargrundstück (VG Koblenz in NVwZ-RR 2011, 752) (VG Koblenz; Beschluss vom 09.05.2011 − 7 L 365/11). Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.
I. Drittschutz durch die Festlegungen des Bebauungsplans
§ 30 BauGB selbst kommt kein nachbarschützender Charakter zu. Allerdings können sich subjektiv-öffentliche Rechte aus den einzelnen Festsetzungen ergeben.
1. Festlegungen zur Art der baulichen Nutzung
Diese Festlegungen (z.B. reines Wohngebiet; Gewerbegebiet) sind prinzipiell nachbarschützend. Die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans zusammengefassten Grundstücke bilden eine “bau- und bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft”(BVerwG, DVBL 74, 358 [361]; BVerwG, DVBl. 1994, 284 [285]).
Die planerischen Festsetzungen enthalten Beschränkungen für die Grundstückseigentümer, die wiederum dem Schutz anderer Grundstückseigentümer dienen. Hierdurch entsteht ein Austauschverhältnis in Form einer Vorteils- und Opfergemeinschaft. (vgl. Hoppe/Grotefels, Öffentl. BauR, § 17 Rn 30).
2. Festlegungen zum Maß der baulichen Nutzung
Die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich nicht als nachbarschützend anzusehen (BVerwG, NVwZ 1996, 170). Mit ihnen werden im Allgemeinen nur im öffentlichen Interesse liegende städtebauliche Anliegen verfolgt.
3. Festlegungen zur überbaubaren Grundstücksflächen /Bauweise
Das gleiche gilt für die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen, allerdings nur, soweit es um die straßenseitigen Baugrenzen geht. Seitliche und hintere Baugrenzen und Baulinie können durchaus auch den Schutz des seitlichen Grundstücksnachbarn bezwecken (VGH BadW NJW 92, 1060; VGH BadW, VBlBW 93, 351). Diese Festlegungen sind vom Regelungsgehalt mit den bauordnungs-rechtlichen Abstandsregelungen zu vergleichen und daher als drittschützend anzusehen (Brohm, Öffentl. BauR, § 19 Rn 20). Auch die Festlegung einer offenen Bauweise ist grundsätzlich nachbarschützend, während die Festlegung der geschlossenen Bauweise durchweg nur städtebauliche Relevanz hat.
II. Drittschutz durch § 34 BauGB
§ 34 BauGB selbst hat keine drittschützende Wirkung. Allerdings ist bei der planungs-rechtlichen Beurteilung eines Vorhabens nach § 34 BauGB das Gebot der Rücksichtnahme und damit auch die Möglichkeit der Berücksichtigung nachbarlicher Belange in dem Begriff des “Einfügens” verankert.
Im Rahmen des § 34 II BauGB ist aber im fiktiven Baugebiet i.V.m. BauNVO der Nachbarschutz gegenüber artfremden Nutzungen in gleicher Weise zu gewähren wie im beplanten Baugebiet. Auch hier besteht ein Austauschverhältnis und damit eine besondere Schutzwürdigkeit der Nachbarn. (BVerwG, DVBl. 1994, 284 [286]).
III. Drittschutz durch § 35 BauGB
§ 35 BauGB dient dem Schutz der städtebaulichen Planung und hat keinen drittschüt-zenden Charakter. Allein über das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Belange kann auch hier Nachbarschutz ausnahmsweise eine Rolle spielen (BVerwGE 52, 122 [125]).
IV. Drittschutz durch § 15 BauNVO
§ 15 I BauNVO sieht eine Unzulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall trotz Plankonformi-tät vor. Stimmt das Vorhaben also mit den planungsrechtlichen Vorgaben überein oder wird zu Recht eine Befreiung gewährt, so kann sich ein subjektiv-öffentliches Recht aus § 15 BauNVO ergeben, wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise schutzwürdige Interessen eines Personenkreises verletzt werden, der sich von der All-gemeinheit unterscheidet oder wenn sich aus den tatsächlichen Umständen handgreiflich ergibt, dass gerade auf den betreffenden Nachbarn Rücksicht zu nehmen ist und dieser besonders rechtliche schützenswert erscheint.
V. Drittschutz durch Vorschriften über Abstandsflächen
Die Abstandflächen dienen der Sicherung von Belichtung, Belüftung, Besonnung, Wohnfrieden und Brandschutz. Sie sind daher für die Nachbarn von erheblichem Interesse. Die Abstandflächen, die gegenüber einem angrenzenden Nachbargrundstück oder gegenüber der vorderen Grundstücksseite einzuhalten sind, vermitteln daher aufgrund dieses Normzweckes Nachbarschutz, und zwar in ihrer jeweils konkreten Tiefe.
VI. Drittschutz durch Art. 14 GG
Unmittelbar auf Art. 14 GG gestützte Abwehranspruch des Nachbarn werden abgelehnt
Dies wird damit begründet, dass sowohl bauplanungsrechtlich als auch bauordnungsrechtlich umfassende Vorgaben für die Errichtung und Nutzung baulicher Anlagen vorliege, so bei Einhaltung aller Vorgaben ein jenseits dieser Grenzen liegender Abwehranspruch nach Art. 14 GG ausscheiden muss, zumal das Gebot der Rücksichtnahme auch stets eine Berücksichtigung nachbarlicher Belange erfordert (BVerwGE 89, 69 [78]).
Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) November 2011