Prüfungswissen: Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes, § 48 VwVfG

Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Lauf der Jahresfrist für Rücknahme eines Verwaltungsaktes (OVG Berlin-Bbg in LKV 2011, 371) (OVG Berlin-Bbg.; Beschluss vom 20.06.2011 – 4 a N 9.11). Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.

I. Rücknahme rechtswidriger belastender Verwaltungsakte
Nach § 48 I 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
Die Aufhebung (= Rücknahme) steht im Ermessen der Behörde hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eine Rücknahme erfolgen soll, ob diese ganz oder teilweise vorgenommen wird und ob die Wirkung ex tunc oder ex nunc eintreten soll.

II. Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte
Soweit es sich bei dem zurückzunehmenden Verwaltungsakt um einen solchen handelt, der eine Begünstigung gewährt, sind nach § 48 I 2 VwVfG die Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zu berücksichtigen.

1. Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte die eine Geld- oder Sachleistung gewähren, § 48 II VwVfG
Bei solchen Verwaltungsakten wird dem rechtswidrig Begünstigten in weitem Umfang Vertrauensschutz gewährt. So darf ein eine Rücknahme nach § 48 II 1 VwVfG nicht erfolgen soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.
a) Annahme schutzwürdigen Vertrauens
Nach § 48 II 2 VwVfG ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
b) Ausschluss von Vertrauensschutz
Auf den Schutz des Vertrauens kann sich der Begünstigte aber trotz Verbrauchs oder Disposition nach § 28 II 3 VwVfG in bestimmten Fällen nicht berufen.
aa) Dies ist der Fall, wenn er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr. 1).
bb) Auch ist Vertrauensschutz ausgeschlossen, wenn der Begünstigte den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (Nr. 2).
Hierbei kommt es nicht auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Betroffenen an. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Ausschluss der Schutzwürdigkeit zur Anwendung des § 48 I 1 VwVfG führt. Dort kann Un-kenntnis im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung zu berücksichtigen sein.
cc) Schließlich kann sich der Begünstigte dann nicht auf Vertrauensschutz berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3)
Sofern der Vertrauensschutz nach § 48 II 3 VwVfG ausgeschlossen ist, hat die Behörde den Verwaltungsakt nach § 48 II 4 VwVfG in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen mit der Folge, dass nach § 49a VwVfG ein Erstattungsanspruch besteht.

2. Rücknahme sonstiger begünstigender Verwaltungsakte, § 48 III VwVfG
Aus § 48 III VwVfG gegen sich keine Einschränkungen gegenüber den Voraussetzungen für die Rücknehmbarkeit nach § 48 I VwVfG. Allerdings wird bei schutzwürdigem Vertrauen die Rücknehmbarkeit durch die pflichtgemäße Ermessensausübung nach § 48 I 1 VwVfG beschränkt. Zudem ist eine besondere Rechtsfolge vorgesehen. Soweit der Begünstigte in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, ist ihm ein Nachteilsausgleich zu gewähren. Für die Frage der Schutzwürdigkeit und ihres Ausschlusses ist § 48 II 3 VwVfG heranzuziehen.

3. Rücknahmefrist
Für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte (§ 48 II, III VwVfG) ist eine Frist von einem Jahr vorgesehen. Diese Frist beginnt zu laufen, wenn die Behörde Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erlangt sowie von allen für die Rücknahmeentscheidung, insbesondere auch hinsichtlich des Vertrauensschutzes, relevanten Tatsachen. Regelmäßig ist diese Kenntniserlangung von der Durchführung einer Anhörung abhängig.

Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) Oktober 2011