Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Baden-Württemberg vom Januar 2020

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Baden-Württemberg vom Januar 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 6,5
Aktenvortrag 11,5
Zivilrecht 8
Strafrecht 8
Öffentliches Recht 10
Endpunkte 8,6
Endnote 7,1

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Anwendbarkeit des deutschen Rechts, Verbrauchervertrag, Beschaffenheitsvereinbarung, Vertragsschluss im Internet, Rücktrittsrecht, Rechtsnatur von Konzertkarten

Paragraphen: §6 Rom-I-VO, §323 BGB, §434 BGB, §150 BGB, §807 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

A erwirbt zwei Karten für ein Konzert der Band Depeche Mode in Köln. Der Ticketkauf erfolgt via Internet auf der Seite „konzertickets.de“ Diese Internetseite wird betrieben von der B-AG, die ihren Geschäftssitz in den Niederlanden hat. A besucht die Internetseite der B und buchte zwei nebeneinander liegende Sitzplätze für das Konzert zu einem Gesamtpreis von 298,00 € (149,00 € pro Karte) Mit E-Mail vom 14.09.2017 schreibt die B dem A, dass sein Auftrag bearbeitet wird und bestätigt diesen Auftrag, vorbehaltlich einer rechtzeitigen Zahlung, verbindlich. In dieser E-Mail wird die Veranstaltung umschrieben mit: „ Depeche Mode, 15.01.2018, 20:00 Uhr, Lanxess Arena Köln, Sitzplatz Tribüne – Super Sicht – Plätze sind Nebeneinander“. Nach Erhalt dieser E-Mail bezahlt A den Gesamtpreis. Daraufhin übersendet die B dem Kläger zwei Konzertkarten mit dem Aufdruck: „ 604 Eingang Nord, seitlich der Bühne, eingeschränkte Sicht“. A fordert nun die Beklagte auf ihm Karten mit den Merkmalen „Sitzplatz Tribüne- Super Sicht- Plätze sind nebeneinander“ zu übersenden. Diese Aufforderung lehnt B mit E-Mail vom 25.09.2017 mit dem Hinweis ab, er habe die Konzertkarten übersandt bekommen, die er auch bestellte. Daraufhin fordert A per E-Mail die Beklagte unter Fristsetzung auf, die gewünschten Karten zu liefern oder ihm den gezahlten Preis zu erstatten. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist tritt A vom Vertrag zurück und verlangt nun Rückzahlung des Kaufpreises.

Zu Beginn wollte der Prüfer die Anwendbarkeit deutschen Rechts auf den Vertrag geklärt wissen. Es war hier zu nennen Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b) Rom-I-VO. Die Anwendbarkeit deutschen Kaufrechts konnte schnell bejaht werden mit dem Argument, dass die niederländische AG eine deutsche Domain verwendet und ihr Internetauftritt in deutscher Sprache verfasst ist, sodass die Tätigkeit eindeutig auf den deutschen Markt ausgerichtet ist. Anschließend fragte der Prüfer, ob es sich denn wirklich so offensichtlich um einen Kaufvertrag handele. Die Frage zielte letztlich darauf ab, wie die Konzertkarte rechtlich zu qualifizieren ist, ob es sich um eine Sache im Sinne des Kaufrechts handelt. Hier wurde zunächst § 793 BGB genannt und die Karte als Wertpapier, genauer als Inhaberpapier qualifiziert mit dem Argument, der Konzertveranstalter wolle sich gegenüber dem jeweiligen Inhaber der Konzertkarte zur Leistung verpflichten, auf die genaue Person komme es ihm nicht an. Damit war der Prüfer fast zufrieden, forderte uns jedoch auf nochmal weiter im Gesetz zu blättern bis wir schließlich auf die speziellere Vorschrift des § 807 BGB gekommen sind. Nach diesem kurzen „Exkurs“ wurde ausführlicher auf den Vertragsschluss eingegangen. Hier war sorgfältig herauszuarbeiten, zu welchem Zeitpunkt der Vertrag zustande gekommen ist, worin Angebot und worin Annahme bestanden. Es war zu klären, ob das Bereitstellen der Buchungsmöglichkeit auf der Internetseite der Beklagten nur Invitatio ad offerendum oder bereits verbindliches Angebot war. Wir haben letztlich eine Invitation ad offerendum angenommen, sodass der Vertrag frühestens mit Zugang der Bestätigungsnachricht durch den Betreiber zustande gekommen sein kann. Sodann war zu problematisieren, ob die zugeschickten Konzertkarten tatsächlich mangelhaft waren. Es war ein Sachmangel nach § 434 I BGB zu prüfen. Hier galt es zunächst den genauen Gegenstand der Beschaffenheitsvereinbarung herauszuarbeiten. Entscheidend war, ob der Zusatz „Gute Sicht“, der erstmals in der Buchungsbestätigung aufgetaucht ist, in die Beschaffenheitsvereinbarung miteinbezogen wurde oder nicht. Hier wollte der Prüfer hören, dass es sich bei der Buchungsbestätigung um eine abändernde Annahme gemäß § 150 II BGB handelte, das durch Zahlung des Kaufpreises konkludent durch den Käufer angenommen wurde, mithin die Beschaffenheit „Gute Sicht“ Vertragsbestandteil geworden ist. Dass es sich bei der Beschreibung „Gute Sicht“ um eine wesentliche Eigenschaft handelt, die nach dem objektiven Empfängerhorizont auch nur so verstanden werden konnte als solle sie Vertragsbestandteil werden, konnte ebenso wie das Vorliegen der Negativabweichung relativ unproblematisch abgehandelt werden, da die Sicht bei einem Konzert schon nach allgemeiner Lebenserfahrung sehr maßgeblich ist und die Sicht tatsächlich, wie auf der Karte sogar aufgeschrieben, nur eingeschränkt war. Auch die übrigen Voraussetzungen des SEA wie die Fristsetzung bereiteten keine größeren Schwierigkeiten, sodass am Ende der Kaufpreisrückzahlungsanspruch aus § 346 I zu bejahen war.