Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Baden-Württemberg vom Januar 2023

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1 2 3

Note staatl. Teil 1. Examen

5,83 5,83 5,83

Gesamtnote 1. Examen

7,15 7,36

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Klimawandel und sich daraus ergebende Ansprüche gegen sog. „carbon majors“

Paragraphen: §1004 BGB, §906 BGB

Prüfungsgespräch: Diskussion, hält Reihenfolge ein, Intensivbefragung Einzelner, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Die Prüfung begann damit, dass der Prüfer einen Sachverhalt schilderte: Der A betreibt eine Berghütte in den Alpen direkt unterhalb eines Gletschers. Leider beginnt der Gletscher mittlerweile aufgrund der Klimaerwärmung zu schmelzen, weswegen sich A genötigt sieht bauliche Maßnahmen zu ergreifen. Da er nicht die gesamten Kosten tragen möchte, fragt er sich, ob er die Rheinbadischen Elektrizitätswerke dazu verpflichten kann sich an den Kosten zu beteiligen. Die Rheinbadischen Elektrizitätswerke sind als einer der großen deutschen „carbon majors“ für 90 % des CO2-Ausstoßes deutschlandweit verantwortlich und treiben damit den Klimawandel stark voran. Prüfling 1 begann mit einer schematischen Prüfung, verneinte zunächst vertragliche Ansprüche, kam dann kurz auf die GoA zu sprechen, bei der es aber am Fremdgeschäftsführungswillen des A fehlen dürfte. Dann wurde kurz ein möglicher EBV-Anspruch angesprochen, der aber an einer mangelnden Vindikationslage scheiterte. Schließlich kam Prüfling 1 auf den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB zu sprechen. Hier sprach P1 an, dass man darüber nachdenken müsste, ob die Rheinbadischen Elektrizitätswerke überhaupt Störer seien, weil sie nur mittelbar die Störungen an der Berghütte verursachen könnten. Nachdem der Prüfer nochmals darauf verwies, welche große Rolle die carbon majors bei dem Voranschreiten des Klimawandels hätten, überlegte P1, ob man die Störer Eigenschaft bejahen könnte und dann aber eine analoge Anwendung von § 906 BGB ansprechen müsste. P2 sollte nun auf den Inhalt des § 906 BGB eingehen und hierbei erklären, dass die Norm die nachbarrechtliche Duldungspflicht normiert und an sich aber nur Grobimmissionen und gerade nicht Feinimmissionen wie Staub erfasst. Der Prüfer fragte nun nach einer analogen Anwendbarkeit des § 906 BGB für unsere Situation, der P2 zu Recht mangels planwidriger Regelungslücke verneinte. P3 sollte nun erklären, wie die örtliche Nähe der Grundstücke i.S.v. § 906 BGB sein muss. Der Prüfer bildete dabei das Beispiel mit der Frage, ob es auch genügen würde, wenn es um ein Grundstück in Andalusien ginge, dass das Gletscherschmelzen in den Alpen verursachen würde. P3 verneinte dies zu Recht und berief sich darauf, dass noch ein ortsnaher Sachzusammenhang, zwischen den beide in Frage kommenden Grundstücken existieren müsse. Er kam infolgedessen nochmals auf die Prüfung des § 1004 BGB zu sprechen und wies darauf hin, dass man hier noch gar keine Störung hätte, sondern eine Störung erst bevorstünde. Der Prüfer griff diese Problematik auf und wollte von P2 erklärt bekommen, ob denn unmittelbar bevorstehende erstmalige Störungen ebenfalls unter den Anwendungsbereich des § 1004 BGB fallen würden. Dies wurde bejaht mit der Begründung, dass es zwar vom Wortlaut des § 1004 BGB nicht umfasst sei, aber der Telos der Norm es gebiete auch solche unmittelbar bevorstehenden Beeinträchtigung vorbeugend zu verbieten. Insb. ist auf den § 1004 I 2 abzustellen, der die vorbeugende Unterlassungsklage gegen wiederkehrende Beeinträchtigung normiert. Hier könnte man von einer Analogie ausgehen.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Baden-Württemberg im Januar 2023. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.