Prüfungsgespräch:
Der Prüfer hat zu Beginn an die vorherige Zivilrechtsprüfung angeknüpft. In dieser wurde der Anscheinsbeweis angesprochen, und der Prüfer hat nun gefragt, ob es diesen im Strafrecht auch gebe (ich meine nein). Da der Anscheinsbeweis im Zivilrecht schon am Anfang Thema war, wirkte es auf mich so, als hätte der Prüfer von vornherein vorgehabt, sich etwas aus dem Zivilrecht auszusuchen, was er auch im Strafrecht abfragen kann. Er scheint das als Einstieg also gerne zu machen. Anschließend hat er folgenden Fall diktiert: A besucht seine Nachbarin N, die laut Musik hört. Es kommt zum Streit. Aus Verärgerung sticht A auf N mit dem Messer, welches er nur zu Abschreckung eingesteckt hatte, ein. N ist zwar verletzt, A und N unterhalten sich nach den Messerstichen weiter unterhalten. A fällt ein, dass er Ärger bekommen könnte, wenn er wegen den Messerstichen erwischt wird. Er entschließt sich, die N zu töten, um zu verdecken, dass er zuvor mit dem Messer auf sie eingestochen wurde. Im Prozess kann nicht geklärt werden, ob A schon beim ersten oder erst beim zweiten Angriff mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Wie hat sich A strafbar gemacht? Wir begannen mit der Prüfung von § 211, 212 StGB. Der Prüfling hatte zunächst das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht vergessen und die niederen Beweggründe geprüft. Der Prüfer ließ ihn erstmal reden, und nickte zustimmend, als der Prüfling sich selbst korrigierte und die Verdeckungsabsicht prüfte. Problematisch war hier, ob es sich bei der Körperverletzung um eine andere Straftat handelte. Da der Zeitpunkt des Tötungsvorsatzes nicht geklärt werden konnte, könnte es sich auch um ein einheitliches Geschehen handeln, wenn die ganze Zeit Vorsatz bestand. Es wurden die möglichen Strafbarkeitsmöglichkeiten besprochen, je nachdem, wann A Vorsatz gefasst hat. Wir besprachen nun den in dubio pro reo Grundsatz und wandten die Grundsätze der Wahlfeststellung an, ohne dass dieses Schlagwort genannt wurde. Der Prüfer war hier wohl auch ohne das Schlagwort zufrieden. Der Prüfer bildete nun einen neuen Fall, an den ich mich leider nicht mehr im Detail erinnern kann. Letztlich hat A einen Diebstahl begangen, wobei die bestohlene Person noch vor der Wegnahme von A getötet wurde. Bei der Prüfung des Raubs war der Tod des Opfers zweimal problematisch: bei der fremden Sache und dem Gewahrsamsbruch bei der Wegnahme. A hat die Sache zudem an einen Freund weiterverkauft. Hier wurde § 263 StGB geprüft, wobei insbesondere der Vermögensschaden zu problematisieren war. Wegen §§ 932, 935 BGB und der fehlenden Eigentümerstellung lag ein Vermögensschaden vor. Im letzten Fall steckte sich A eine Flasche Rum ein. Der Ladendetektiv beobachtete A dabei (im Rahmen von § 242 StGB unproblematisch, da der Diebstahl kein heimliches Delikt ist) und verfolgte ihn anschließend über mehrere Kilometer fast eine halbe Stunde lang. Als der Detektiv den A stellte, streckte dieser in nieder, um die Flasche Rum nicht zu verlieren. Somit war § 252 StGB einschlägig. Problematisch war hier, ob eine „frische Tat“ vorliegt. Bei der Diskussion wussten wir alle nicht so recht, was der Prüfer hören wollte. Die Definition „enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang“ und „einheitliches Geschehen“ reichte ihm nicht. Der Prüfer beendete daraufhin die Prüfung. Der Prüfer scheint sich gerne auf ein konkretes Problem in seinem Fall zu konzentrieren. Wichtig ist es daher meines Erachtens, die Grundlagen und strafrechtliche Argumentationsmuster zu beherrschen.
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung im Baden-Württemberg vom Juli 2024. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.