Prüfungsthemen: Öffentliches Recht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat |
1 |
Note staatl. Teil 1. Examen |
7,22 |
Gesamtnote 1. Examen |
6,70 |
Prüfungsgespräch:
A ist Kunstliebhaber in einer kleineren Gemeinde. Es handelt sich im Fall um den Innenhof von einem Gebäude, das sich im allgemeinen Wohngebiets befindet. In diesen Innenhof wird nach Wunsch des Kunstliebhabers A eine überdachte Bühne mit festem Fundament errichtet. Diese hat 30 Sitzplätze und es treten dort etwa 3 kleinere Musikgruppen pro Abend auf. Diese Veranstaltungen, die das kulturelle Leben der Gemeinde bereichern sollen, finden bis Mitternacht oder 1 Uhr nachts statt. Es steht laut Sachverhalt fest, dass die Musik die Dezibel Grenzwerte überschreitet. Dazu kommt noch, dass N (ein Nachbar) befürchtet, dass seine Schlafqualität langfristig beeinträchtigt wird. Außerdem rügt N, dass die Bühne ein scheußliches Erscheinungsbild aufweist. Das Landratsamt findet das Vorhaben dagegen gut (eine Baugenehmigung wurde aber noch nicht erteilt). Der Nachbar N klagt vor dem Verwaltungsgericht. Er möchte, dass das Landratsamt gegen A einschreitet. Hat er Aussicht auf Erfolg? A. Entscheidungskompetenz des Gerichts I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I1 VwGO (wurde zu ausführlich angesprochen) II. Gerichtszuständigkeit (wurde gar nicht angesprochen) B. Zulässigkeit der Klage I. Statthafte Klageart, § 88 VwGO (erster Schwerpunkt) Die Standardformulierung „richtet sich nach dem klägerischen Begehren“ wurde erwartet. Anschließend wurde zwischen der Drittverpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten und der Drittanfechtungsklage abgegrenzt (Abgrenzungskriterium war die Lehre der Zweigleisigkeit des Nachbarrechtsschutzes im Baurecht). Entschieden hat man sich für eine Verpflichtungsklage mit dem Argument, dass noch keine in Tatbestandswirkung erwachsende und daher anfechtbare Baugenehmigung vorlag. II. Klagebefugnis, § 42 II VwGO Es wurde die Möglichkeitstheorie angesprochen und dann die Schutznormtheorie, wonach der Kläger nur solche Ansprüche geltend machen darf, die sich aus einer drittschützenden Norm ergeben. Angesprochen wurde auch die baurechtliche Besonderheit, dass diese Norm Ausfluss des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme sein soll. Im Rahmen der Subsumtion bestand der Prüfer darauf, dass wir die in Betracht kommenden Normen nur benennen. Genannt wurden § 9a Nr. 1 BauGB i.V.m. § 15 I BauNVO sowie der Anspruch auf Erhaltung des Gebietscharakters. Der Prüfer wollte, dass wir klarstellen, dass der Kläger einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung geltend macht. B. Begründetheit der Klage I. Passivlegitimation Hier wollte der Prüfer, dass wir das Rechtsträgerprinzip und die Doppelfunktionalität des Landratsamts ansprechen. II. Anspruchsprüfung 1. Tatbestandswissen der jeweiligen bauaufsichtlichen Maßnahme (= RGL für bauaufsichtliches Einschreiten, d.h. Art. 76 S. 1 BayBO, wobei auch Art. 76 S. 2 BayBO als milderes, gleich effektives Mittel vertretbar war) müssen erfüllt sein. Es wurde an dieser Stelle zwischen formeller (keine Baugenehmigung trotz Genehmigungspflichtigkeit) und materieller Illegalität (irgendein Verstoß gegen baurechtliche Vorschriften) abgegrenzt. Wir haben eine doppelte Illegalität geprüft, im Rahmen der formellen Illegalität die Genehmigungspflichtigkeit des Vorhabens bejaht, dann im Rahmen der materiellen Illegalität § 4 BauNVO subsumiert und einen Verstoß gegen § 15 I BauNVO bejaht. Der Prüfer wollte den Unterschied zwischen einer statischen und einer dynamischen Verweisung erfahren und die Frage beantwortet bekommen, ob § 9a Nr. 1 BauGB eine statische oder dynamische Verweisung ist.
Zusätzlich: Anspruchsteller muss die Verletzung einer drittschützenden Norm behaupten, d.h. Vorschrift, gegen die verstoßen wurde/der Baurechtsverstoß, der die materielle Illegalität begründet, muss drittschützend sein.
Zusätzlich: Ermessensreduzierung auf Null, sonst nur Anspruch auf Neuverbescheidung nach § 113 V 2 VwGO (Hintergrund: Art. 75 und 76 BayBO sind Ermessensvorschriften – vgl. Wortlaut „kann“ – sodass gs. nur Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung besteht und nur ausnahmsweise – bei Ermessensreduzierung auf null – ein gebundener Anspruch auf Einschreiten besteht). Wir kamen zum Ergebnis, dass das VG die staatliche Stelle verurteilen würde, nochmals über das Vorhaben (diesmal ermessensfehlerfrei unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts) zu entscheiden.
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Bayern im Februar 2022. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.