Prüfungsgespräch:
Der Prüfer begann seinen Vortrag mit den einleitenden Worten, dass er ansonsten ja keine Corona-Fälle prüfen würde. Danach schilderte er uns den Fall, dass die Landtagspräsidentin P des fiktiven Landes X im Landtag eine allgemeine Maskenpflicht in Form der Allgemeinverfügung anordnet. Die Abgeordneten müssen nach dem Betreten des Landtages stets eine Mund-Nasen Bedeckung tragen (sowohl auf den Gängen als auch in Gesprächen und im Plenarsaal). Lediglich bei dem Halten von Reden darf die Maske abgesetzt werden. Auch Besucher haben eine Maske zu tragen. Sie müssen darüber hinaus am Empfang des Landtags persönliche Daten hinterlegen, um eine Kontaktnachverfolgung zu ermöglichen. Diese Maskenpflicht soll notfalls auch mit Verwaltungszwang durchgesetzt werden und die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Zunächst fragte der Prüfer uns nach der Art des Verwaltungshandelns in Bezug auf die Anordnung der Maskenpflicht. Es wurde die Allgemeinverfügung nach § 35 S. 2 VwVfG genannt. Daraufhin sollten die Verwaltungsaktmerkmale geprüft werden und es sollte dargestellt werden, was der Unterschied der Allgemeinverfügung zum Verwaltungsakt sei. Ferner fragte er uns, wie man den Maskenzwang durchsetzen könnte. Wir sollten die möglichen Zwangsmittel der Verwaltung nennen. Es wurden die Ersatzvornahme, die unmittelbare Ausführung und das Zwangsgeld genannt. Eine normative Anknüpfung sollte nicht erfolgen, da es ein fiktives Land sei. Er fragte nach dem Unterschied zwischen Ersatzvornahme und der unmittelbaren Ausführung und wann es nicht erfolgsversprechend ist, ein Zwangsgeld zu verhängen (- wenn klar ist, dass es nicht durchsetzbar ist, weil der Betroffene nicht zahlen kann). Sodann fragte er, ob es der Behörde möglich ist, in bestimmten Fällen mehrfach ein Zwangsgeld zu verhängen. Danach sollten wir näher darauf eingehen, was die Abgeordneten machen können, um sich gegen die Maskenpflicht zu wehren. Wir kamen auf § 80 VwGO zu sprechen. Es wurde die Suspensiv Wirkung thematisiert und ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Regelfall sei und aus welchen Gründen sie eine Ausnahme bleiben sollte. Nachdem wir über die Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 V VwGO gesprochen haben, beendete er diesen Abschnitt mit den Worten, dass wir uns mit dem Antrag noch im Referendariat genauer auseinandersetzen müssten und er gerne darüber sprechen möchte, was der Verwaltungsrichter wohl als erstes prüfen würde. Somit wurde die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs angesprochen. Diese bildete nach meinem Empfinden – den Schwerpunkt der Prüfung. Das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art war in diesem Fall problematisch. Es wurden Definitionsmöglichkeiten für die öffentlich-rechtliche Streitigkeit angebracht. Insbesondere haben wir darüber gesprochen, dass die Landtagspräsidentin in ihrem Amt tätig wird, das Hausrecht ausübt und eine Allgemeinverfügung erlässt – also die Form ihres Handelns bereits öffentlich-rechtlich ist.
Der Prüfer war über die Begriffe der modifizierten Subjektstheorie und der Subordinationstheorie sehr froh, allerdings warf er dann den Begriff der „Kontrahierungsform“ in den Raum, welche nach seiner Ansicht hier die Wichtigste war. Es ging ihm aber meines Erachtens eher um eine juristische Diskussion und die Darstellung unterschiedlicher Lösungsansätze. Dann widmeten wir uns der Frage, ob eine Verfassungsrechtlichkeit vorliegt. Es wurde über die Grundrechte der Abgeordneten diskutiert. In Betracht kommen Art. 38 I GG und Art. 2 GG sowie Art. 5 I 1 GG. Der Prüfer wollte wissen, wann und in welcher Form diese von der Maskenpflicht beeinträchtigt werden. Wir führten an, dass es für die Abgeordnetentätigkeit notwendig sein könnte, sich auch außerhalb der Sitzungen auszutauschen und dass die Masken dies behindern könnten. Dagegen spricht die geringe Intensität des Eingriffs im Verhältnis zu den gefährdeten Rechtsgütern. Er ließ uns alle dazu Stellung nehmen und Argumente anführen und fragte uns, welche Ansicht wir vertreten. Zuvor machte er klar, dass dies durchaus streitig war und die Gerichte damit auch ihre Probleme hatten, die Sache letztendlich aber von den Verwaltungsgerichten entschieden wurde. Zuletzt fragte er, was die Verwaltungsgerichte machen müssten, wenn sie feststellen, dass es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt. Eine Rechtswegverweisung ist nicht möglich, da das BVerfG keine Superrevisionsinstanz ist. Danach fragte er, was für eine Verfahrensart vor dem BVerfG stattfinden müsste. Es wurde das Organstreitverfahren genannt. Die Zeit war dann aber vorbei und wir nannten nur die entsprechende Normenkette.
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hamburg im Juli 2022. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.