Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Berlin vom August 2020

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin im August 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1 2 3 4
Vorpunkte 8,42 7,85 5,14 7,57
Aktenvortrag 12 6 9 8
Zivilrecht 11 10 8 8
Strafrecht 10 8 7 9
Öffentliches Recht 13 10 7 11
Endpunkte 9,69 8,0 6,xx 8,0
Endnote 9,69 8,0 6,xx 8,0

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Mietrecht

Paragraphen: §543 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Die Vertiefungsfragen im Anschluss an den Aktenvortrag hatten keinerlei Bezug zum Vortrag. Er fragte zunächst, welche Rechtsmittel es gibt. Berufung, Revision, Sprungrevision. Wann ist denn eine Revision möglich? Eine Revision kann nur auf eine Rechtsverletzung gestützt werden (§ 545 ZPO) und ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Wann ist das OLG erstinstanzlich zuständig? Für Musterfeststellungsverfahren gem. § 119 Abs 3 ZPO.
Wie erfolgt die Vollstreckung in eine Forderung? Durch einen Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss gem. §§ 829, 835 ZPO. Was enthält dieser? Das Arrestatorium und das Inhibitorium (§ 829 S. 1 und S. 2 ZPO).
Was sind die Vollstreckungsvoraussetzungen? Vollstreckbarer Titel, Klausel, Zustellung an den Vollstreckungsschuldner, Antrag des Vollstreckungsgläubigers.
Nennen Sie die sachenrechtlichen Grundsätzlich Publizität, Abstraktion, Bestimmtheit, Typenzwang, Absolutheit. Was bedeutet denn der Absolutheitsgrundsatz? Dingliche Recht wirken gegenüber jedermann.
Für das Prüfungsgespräch hatte uns der Prüfer einen ausgedruckten Fall auf den Tisch gelegt (ca. eine DINA4 Seite lang), den zunächst einmal jeder für sich durchlesen sollte. Es handelte sich um einen Fall aus der aktuellen JuS (JuS JuS 2020, 773), der das Thema der unbefugten Untervermietung behandelte. Ein Thema das er in etwas abgewandelter Form bereits in der Vergangenheit geprüft hat. Die prozessuale Zusatzfrage aus der JuS hatte der Prüfer nicht übernommen. Er fragte also ausschließlich materielles Recht ab. Der Fall lautete wie folgt:
M hat von V eine Erdgeschosswohnung in Augsburg gemietet. Nach dem im Juli 2015 ordnungsgemäß abgeschlossenen, unbefristeten Mietvertrag zahlt M für die Wohnung 500 Euro Miete pro Monat. Nachdem M am Wochenende häufig nicht in Augsburg ist, beschließt sie im August 2017, die Wohnung in den Zeiten, in denen sie nicht in Augsburg ist, gegen Entgelt Touristen zu überlassen. Die Touristen nehmen mit M über eine Internetplattform, auf welcher M die Überlassung der Wohnung in den Zeiten, in denen sie nicht in Augsburg ist, anbietet, Kontakt auf. M hat durch die mehrfache Wohnungsüberlassung an Touristen im Zeitraum August 2017 bis Januar 2018 bereits insgesamt 1.000 Euro eingenommen.
Die von M gemietete Wohnung ist eine von vier Wohnungen in dem Haus, dessen Eigentümer V ist. Auch die übrigen drei Wohnungen des Hauses hat V vermietet. Anfang Februar 2018 treten die jeweiligen Mieter der anderen drei Wohnungen gemeinsam an V heran und berichten ihm, dass M ihre Wohnung regelmäßig gegen Entgelt Touristen überlässt. Die anderen Mieter beschweren sich deshalb bei V und machen geltend, dass M’s Verhalten zur Folge habe, dass viele unbekannte Personen im Haus ein- und ausgingen. Sie würden sich dadurch gestört fühlen, dass stets damit gerechnet werden müsse, im Hausflur fremden Personen zu begegnen. Sie würden sich daher auch wegen der im Hausflur stehenden Gegenstände stets Sorgen machen, auch wenn es bislang zum Glück noch nicht zu einem Diebstahl oder Beschädigungshandlungen gekommen sei.
Unmittelbar nachdem V von den anderen Mietern über die Vorgänge unterrichtet wurde, sendet er M ein Schreiben, in dem er sie dazu auffordert, es unverzüglich zu unterlassen, die Wohnung entgeltlich Fremden zu überlassen; er habe – was zutrifft – eine Untervermietung nie gestattet und werde dies auch künftig nicht tun.
M will sich das lukrative Geschäft jedoch nicht verbieten lassen und stellt nach Erhalt des Schreibens des V erneut Angebote zur entgeltlichen Überlassung der Wohnung auf dem Internetportal ein. Im gesamten Februar 2018 bucht jedoch niemand die Wohnung, so dass diese auch nicht Touristen überlassen wird.
Allerdings bemerkt V Ende Februar die Anzeige im Internet. Er sendet M daraufhin umgehend am 01.03.2018 ein von ihm unterzeichnetes Schreiben, in dem er ausführt, dass ihn die unbefugte Überlassung der Wohnung an Dritte, zu welcher sich M in der Internetanzeige weiterhin bereit erkläre, in seinen Rechten erheblich gefährde und zudem der Hausfrieden durch die Fremden, mit denen auf Grund der noch bestehenden Anzeige der M im Internet stets gerechnet werden müsse, nachhaltig gestört werde. Er erklärt, das Mietverhältnis deshalb mit sofortiger Wirkung zu beenden und verlangt von M die sofortige Herausgabe der Wohnung. Zugleich erklärt er, dass er bereits jetzt einer Fortsetzung des Mietverhältnisses widerspreche. Dem Schreiben ist auch ein Ausdruck der aktuellen Internetanzeige beigefügt.
Kann V von M die Herausgabe der Wohnung verlangen?
Hat V gegen M einen Anspruch auf Zahlung i.H.v. 1.000 Euro im Hinblick auf die durch die Überlassung an Touristen erzielten Einnahmen?
Wir begannen mit der Frage nach der Herausgabe der Wohnung. Zunächst fragte Herr Stollwerck, in welcher Reihenfolge zivilrechtliche Ansprüche zu prüfen seien. Vertrag, Vertrauen, Gesetz. Was sei denn dann die erste Anspruchsgrundlage die wir jetzt prüfen? § 546 Abs. 1 BGB. Er wollte zusätzlich noch die Verweisungsnorm für Wohnraummiete § 549 Abs. 1 BGB hören. Was prüfen wir denn im Rahmen von § 546 Abs. 1, 549 Abs. 1 BGB? Ich wollte mit der Wirksamkeit der Kündigung beginnen. Das war ihm allerdings zu schnell. Zunächst wollte er hören, dass der Anspruch einen Mietvertrag gem. § 535 BGB voraussetzt. Dieser wurde unproblematisch bejaht. Nun zur Wirksamkeit der Kündigung: Was ist denn mit der Kündigungsfrist? Eigentlich gilt die Frist des § 573c Abs. 1 BGB, aber V möchte sich ja sofort vom Mietvertrag lösen. Also gelten die § 543 und § 569 BGB. Es wurde festgestellt, dass die Schriftform des § 568 BGB eingehalten wurde. Dann ging es um das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Es wurde § 543 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. BGB geprüft und wegen der Gebrauchsüberlassung von August 2017 bis Januar 2018 bejaht. Es wurde festgestellt, dass V den M gem. § 543 Abs. 3 BGB aber zunächst abmahnen musste und M nach der Abmahnung die Wohnung nicht mehr an Dritte überlassen hat, sondern nur eine Wohnungsanzeige geschaltet hat. Dann wurde erörtert, dass man das bloße Einstellen der Wohnung auf einer Internetplattform dem Kündigungsgrund des Überlassens an Dritte möglicherweise gleichstellen könnte, da dem V nicht zugemutet werden kann mit der Kündigung zuzuwarten, bis der M tatsächlich an jemanden vermietet. Zumal handelt es sich bei der Aufzählung in § 543 Abs. 2 BGB nur um Regelbeispiele. Jedenfalls liegt ein wichtiger Grund nach § 543 Abs. 1 BGB vor. Wir prüften noch ob ein weiterer Kündigungsgrund gem. § 569 Abs. 2 BGB (nachhaltige Störung des Hausfriedens) vorliegt, lehnten dies aber im Ergebnis ab.
Dann widmeten wir uns der zweiten Frage nach dem Anspruch auf die Zahlung der erzielten Einnahmen. Es wurde § 280 Abs. 1 BGB geprüft. Die Anspruchsvoraussetzung wurden bejaht, ein Schaden wurde allerdings abgelehnt. Der Prüfer fragte, wie ein Schaden bestimmt wird und was der normative Anknüpfungspunkt hierfür sei. Nach der Differenzhypothese, § 249 BGB. Zur Prüfung weiterer Anspruchsgrundlagen kamen wird nicht.
Herr Stollwercks Prüfungsschwerpunkt liegt ganz überwiegend im materiellen Recht. Wichtig ist ein gutes Grundlagenwissen und eine saubere, chronologische Prüfung der Anspruchsgrundlage. Auch bei uns wurde, wie auch bereits in der Vergangenheit, ein Fall aus der aktuellen JuS geprüft. Es empfiehlt sich daher die aktuellen Ausbildungszeitschriften im Blick zu haben.