Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Hessen vom Januar 2022

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat

1 2 3 4 5

Note staatl. Teil 1. Examen

6 1 1 1 1

Gesamtnote 1. Examen

8 1 1 1 1

Gesamtnote 2. Examen

7,6 10,2 9,8 6,6 7,1

Zur Sache:

Prüfungsstoff: protokollfest

Prüfungsthemen: Materiell: ausgeteilter Sachverhalt zu Sachbeschädigung, Notwehr bzw. Erlaubnistatbestandsirrtum, mehrfache Abwandlung; Prozessual: Identitätsfeststellung, örtliche Zuständigkeit der Polizeibeamten

Paragraphen: §§303 StGB, §33 StGB, §113 StGB, §114 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Intensivbefragung Einzelner, hart am Fall  Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer teilte uns gleich zu Beginn der Prüfung einen kurzen Sachverhalt aus. Zusammengefasst lautete dieser in etwa: Bei einem Spaziergang an einem sehr heißen Sommertag entdeckte die T, dass in einem in der Sonne geparkten Auto ein Hund saß. Der Halter des Autos war nicht zu sehen und ein Fenster des Autos war nur einen Spalt geöffnet. Da die T befürchtete, dass der Hund aufgrund der herrschenden Hitze sterben könne, entschloss sie sich die Scheibe des Fahrzeugs mit ihrer Tasche einzuschlagen und so den Hund zu befreien. Kurz nachdem sie die Scheibe eingeschlagen hatte, tauchte der Eigentümer des Autos X (84 J.) auf. Dieser war nur kurz bei dem Kiosk ganz in der Nähe gewesen, um Eis und Wasser für den Hund zu kaufen. X verständigte die Polizei und stellte bei den erschienen Beamten Strafanzeige gegen T. Diese war hierüber sehr empört und der Ansicht, X gehöre wegen Tierquälerei nach dem Tierschutzgesetz bestraft. Der Prüfer fragte zunächst, wie sich T strafbar gemacht haben könnte. Dies war von der ersten Kandidatin auch rasch beantwortet. In Betracht kommt eine Sachbeschädigung nach § 303 I StGB durch das Einschlagen des Fensters. Er ließ daraufhin den objektiven und subjektiven Tatbestand subsumieren. Im Rahmen der Rechtswidrigkeit kamen wir darauf, dass sie möglicherweise gerechtfertigt sein könnte. § 32 StGB wurde mangels Angriffs abgelehnt. In Betracht kam § 34 StGB. Hier wollte der Prüfer die genaue Definition einer gegenwärtigen Gefahr wissen und welche Rechtsgüter hier bedroht gewesen sein könnten. Es kam das Eigentum an dem Hund in Betracht. Hinsichtlich der gegenwärtigen Gefahr für den Hund kamen wir zu dem Schluss, dass diese i.E. wohl abzulehnen sei, da der X nur kurz beim Kiosk Eis und Wasser für den und holte. Dann fragte Dr. Böttger, wie sich der Irrtum der T auswirkte. Es kam ein Erlaubnistatbestandsirrtum in Betracht, wobei der Prüfer nachfragte, was denn eine genauere Bezeichnung in unserem Fall sei. Er wollte darauf hinaus, dass es sich genau genommen um einen Erlaubnistatumstandsirrtum handele, da T eben über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandes irrte. Dann wurde nach den möglichen Folgen eines solchen Irrtums gefragt. Genannt wurden ein Entfallen des Vorsatzes (§ 16 StGB analog mit der Möglichkeit noch nach einem möglichen Fahrlässigkeitstatbestand zu bestrafen) oder Entfallen der Schuld (§ 17 StGB). Sodann fragte er nach den Argumenten, die für die eine oder andere Ansicht sprechen (Contra § 16 StGB analog: Teilnehmer können nicht bestraft werden, da keine vorsätzliche Haupttat und eigentlich handelt Täterin ja vorsätzlich; Contra § 17 StGB: Täterin will sich ja an sich rechtstreu verhalten. Sie zeigt keine rechtsfeindliche Gesinnung). Nach der vorsatzschuld verneinenden eingeschränkten Schuldtheorie fragte er dann nicht mehr. Sodann fragte er, ob hier eine Entscheidung zwischen den Ansichten erforderlich sei. Dies war nicht der Fall, da nach beiden eine Strafbarkeit nach § 303 StGB ausschied und die fahrlässige Sachbeschädigung nicht strafbar ist. Sodann fragte der Prüfer woraus sich die örtliche Zuständigkeit der erschienenen Polizeibeamten ergebe. Nach der Feststellung, dass dies in der StPO nicht geregelt ist, kamen wir darauf, dass sich die Zuständigkeit aus der analogen Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften aus dem HSOG ergebe. Es wurde sodann gefragt, ob dies nicht gegen das Analogieverbot verstoße, was jedoch verneint werden kann, da diese nur für materielle Strafnormen gilt. Im Anschluss wurde gefragt, auf welcher Rechtsgrundlage die Beamten die Personalien von T feststellen können. Grundlage hierfür ist § 164b I StPO. Darauf wollte er die Voraussetzung für eine Identitätsfeststellung nach § 164b StPO wissen und ob diese hier vorlagen. Hier kam es ihm darauf an, dass man das Prüfungsschema abarbeitet und die richtigen Stichworte nennt (z.B. Anordnungskompetenz, Verhältnismäßigkeit der Maßnahme etc.). Im Ergebnis lagen die Voraussetzungen für die Maßnahme vor. Ein Anfangsverdacht lag vor, da die Polizisten nicht abschließend feststellen können, ob ein Rechtfertigungsgrund greift, dann spann er den Fall weiter, die T sei über die Identitätsfeststellung so erbost, dass sie anfing auf die Beamten mit ihrer Handtasche einzuschlagen und die Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs einschlug. Frage, welche Straftatbestände in Betracht kommen. Hier war bzgl. der Scheibe § 305a StGB zu nennen. Fraglich, ob durch die Scheibe ein teilweises zerstören des Polizeifahrzeugs vorlag. I.E. (-), da Brauchbarkeit nicht teilweise aufgehoben. Anschlussfrage, wie dies bei einem Funkgerät im Fahrzeug aussehe. I.E. auch wohl (-). Insgesamt kam es hier auf eine schlüssige Argumentation an. Bzgl. der Beamten kamen §§ 113, 114 StGB in Betracht. Hier wollte der Prüfer wissen, was unter Rechtmäßigkeit in § 113 III StGB zu verstehen ist. Hier sollte man wissen, dass die Rspr. einen strafrechtsspezifischen Rechtmäßigkeitsbegriff anwendet und es lediglich auf die formelle Rechtmäßigkeit der Diensthandlung ankommt und nicht auf die materielle Rechtmäßigkeit. Zuletzt wandelte der Prüfer den Fall dahingehend ab, dass X unter Betreuung steht. Strafantrag hatte diesmal der Betreuer und nicht X gestellt. Wir sollten uns in die Position des Verteidigers bzw. der Verteidigerin der T denken. Zu Beginn der Hauptverhandlung falle uns auf, dass X unter Betreuung stehe. In der Bestellungsurkunde standen als Aufgabenbereiche des Betreuers die Vermögenssorge, Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung sowie Vertretung gegenüber Körperschaften, Behörden und Rechtsanwälten. Frage, was wir machen würden? Sachbeschädigung ist gem. § 303c StGB relatives Antragsdelikt. Da die StA ein besonderes öffentliches Interesse nicht angenommen hatte war ein wirksamer Strafantrag erforderlich. Fraglich war, ob dieser wirksam gestellt worden war. Dies richtete sich nach § 77 III StGB. Hier war die Stellung von Strafanträgen nicht von dem Aufgabenkreis des Betreuers umfasst. Also kein wirksamer Antrag. Frist nach § 77b StGB war auch schon abgelaufen. Daher Frage was tun? Es wurde § 206a StPO genannt. War aber nicht einschlägig, da wir hier in der HV waren und § 206a StPO nur außerhalb der HV zur Anwendung kommt. I.E. war das Verfahren gemäß § 260 III StPO durch Urteil einzustellen, da mangels Strafantrags ein Verfahrenshindernis vorlag.

Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Hessen im Januar 2022. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.