Prüfungsthemen: Zivilrecht
Prüfungsgespräch:
Die Prüfung begann mit einer Fragerunde. Dabei fing die Prüferin in der Mitte an und fragte, welche Auslegungsmethoden es denn gibt (Wortlaut, Historie, Systematik, Sinn & Zweck). Die Frage an den nächsten Prüfling war, was eine Willenserklärung ist (Willensäußerung, die auf Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist). Dann wurde nach der Prüfungsreihenfolge im Zivilrecht gefragt. Zuletzt sollte erklärt werden, was ein Anwartschaftsrecht ist. Anschließend teilte die Prüferin einen Sachverhalt (knapp über eine Seite) aus und las diesen vor. Dieser lautete sinngemäß: Der 17-jährige M hilft im Autohaus des Händlers H aus. Dabei hat er auch schon Zubehörteile verkauft. Im Laden des H steht auch ein Sportwagen (mit Aushängeschild: 120.000€). Am 19.05.2019 betritt der S mit seiner 6-jährigen Tochter T das Autohaus und interessiert sich für den Wagen. M preist den Wagen an und berichtet über dessen Eigenschaften. Jedoch zögert S noch, den Wagen zu kaufen. M entgegnet, dass er noch etwas überlegen darf, sodann verlassen S und T das Autohaus. Noch am gleichen Tag sagt S zu T, sie solle zum Autohaus zurückrennen und dem M mitteilen, dass er das Auto kaufen will. Danach ruht sie Sache vor sich hin. Erst am 9.12.2022 setzt sich S mit H in Verbindung. H, der den Wagen lieber für sich behalten will, lässt sich auf eine fünftägige Verhandlung mit S ein, die allerdings zu keinem Ergebnis führt. Auf erneute Nachfrage teilt H am 24.12.2022 mit, dass er sich auf keine weitere Diskussion mit S einlasse und das Thema erledigt sei. Frage: Kann S von H Übergabe und Übereignung des Sportwagens verlangen? Abzustellen ist auf den 7.2.2023. HGB war nicht zu prüfen. Die Prüferin begann wieder in der Mitte und fragte, wie der Prüfling einsteigen würde. Es folge die Prüfung eines Anspruchs aus § 433 I 1 BGB. Zuerst war unter dem Prüfungspunkt Anspruch entstanden zu klären, ob das Aushängeschild eine invitatio ad offerendum oder eine offerta ad incertas personas war (letzteres). Zu prüfen war, ob M dem S ein konkretes Angebot gemacht hat (Abgabe einer Willenserklärung, im fremden Namen, mit Vertretungsmacht). Dabei war auch darauf einzugehen, dass M aufgrund einer Duldungsvollmacht das Angebot abgeben konnte. Problematisch war nun, dass S das Angebot entgegen § 147 I 1 BGB nicht sofort (ohne schuldhaftes Zögern) angenommen hat. Da M jedoch eine Überlegungsfrist eingeräumt hatte, war die Annahme zu bejahen. T konnte als Botin des S die Annahmeerklärung an M übermitteln (hier mussten wir die Stellvertretung von der Botenschaft abgrenzen). Der Anspruch ist somit entstanden. Ein Prüfling kam unter dem Prüfungspunkt Anspruch erloschen auf eine Unmöglichkeit nach § 275 I BGB zu sprechen, lehnte eine solche aber ab. Sodann war bei Anspruch durchsetzbar auf eine mögliche Verjährung einzugehen, §§ 194 ff. BGB. Nach § 199 I, 195 BGB beginnt die Verjährungsfrist hier am 01.01.2020 und würde normalerweise mit Ablauf des 31.12.2022 enden. Allerdings gab es hier ab dem 09.12.2022 nochmal Verhandlungen zwischen H und S. Weil von uns keiner auf die passende Norm kam, wies die Prüferin einen Prüfling auf § 203 BGB hin. Sie wollte eine Hemmung hören. Sodann klärten wir, ob die Hemmung 5 oder 16 Tage lang sei, und entschieden uns für 16, da H erst am 24.12.2022 endgültig weitere Verhandlungen verweigerte. Zuletzt kamen wir auf § 203 S. 2 BGB zu sprechen, nach dem die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung eintritt, sodass der Anspruch im vorliegenden Falle noch durchsetzbar ist. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass S gegen H einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung aus § 433 I 1 BGB hat.
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Niedersachsen vom September 2024. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.