Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – NRW vom Juli 2016

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im Juli 2016. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsfach:  Zivilrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1 2 3
Vorpunkte 51 45 25
Zivilrecht 8 3 4
Strafrecht 11 10 8
Öffentliches Recht 11 10 8
Endpunkte 92 78 53
Endnote 9 7 5

Zur Sache:

Prüfungsthemen: Vertragliche Ansprüche, cic, GoA

Paragraphen: §280 BGB, §677 BGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, hält Reihenfolge ein, Intensivbefragung Einzelner, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer ist wirklich ein sehr netter, freundlicher Prüfer. Er liest sich vorher den Lebenslauf sehr genau durch und fragt etwas dazu. Er fragt, warum man Jura studiert hat und welche Pläne man danach hat. Weil ich schon im Referendariat bin, hat er mich zu meinem Ausbilder gefragt und wie mir die Zivilstation gefällt. Er hat sich sehr viel Zeit genommen, ca. eine Viertelstunde, und ich empfand das Gespräch als sehr angenehm.

Der Prüfer sagte zu Beginn, er werde keine Rechtsgeschichte prüfen, da wir nur drei Prüflinge waren und entsprechend wenig Zeit (30 Minuten) für die Prüfungsgespräche hatten.

Er diktierte folgenden Fall: (Klassiker: Erbensucherfall)

Junggeselle J ist verstorben und hat kein Testament gemacht. Gesetzliche Erben sind nicht bekannt. Das Nachlassgericht sucht nach Verwandten des J. Erbenermittler E wird auf den Fall aufmerksam. Es gelingt ihm, die 60-jährige T zu ermitteln. T entstammte einer Affäre des J in jungen Jahren mit der M. Sie wusste, dass sie unehelich war, aber hatte nie Kontakt zu J. E schreibt T mit Brief vom 2. Mai 2016 Informationen zum Erblasser J und verlangt von T Unkosten für seine Arbeitszeit iHv 1.000,- € (10 Arbeitsstunden à 100,- €). T lehnt dies mit Schreiben vom 4. Mai 2016 ab. Sie nutzt aber die Informationen, die E ihr geschrieben hat, und recherchiert. Sie tritt die Erbschaft an. Ohne die Informationen des E hätte sie dies nicht tun können.

Hat E Ansprüche auf Zahlung der 1.000,-?

Zunächst sollten wir alle etwaigen Anspruchsgrundlagen nennen: Möglicherweise vertragliche Ansprüche, GoA, bereicherungsrechtliche.

  1. Vertraglicher Anspruch

Ein Angebot des E ist in dem Schreiben an T vom 2. Mai zu sehen. Fraglich ist, ob T angenommen hat. Sie hat das Angebot ausdrücklich abgelehnt mit Schreiben vom 4. Mai, sodass das Angebot erloschen ist gem. § 146 BGB. Eine konkludente Annahme des Angebots durch Nutzung der Informationen kommt daher nicht mehr in Betracht. Es ist kein Vertrag zustande gekommen.

  1. Cic, §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB

Der Prüfer wollte auf Nachfrage hören, dass dies ein Schadensersatzanspruch ist auf vorvertraglichen Schadensersatz. Wir diskutierten, ob ein vorvertragliches Schuldverhältnis zustande gekommen ist gem. § 311 II Nr. 1 oder Nr. 2 und lehnten dies aber ab. Der Prüfer fragte, warum ein solcher Anspruch weiterhin nicht in Betracht käme. Er fragt, ob das Verhalten der T eine Pflichtverletzung im Sinne des § 241 II BGB sein könnte: Dass sie nicht mit E den Vertrag schließen will und trotzdem die Informationen genutzt hat. Im Hinblick auf die Privatautonomie und die sich daraus ergebende Vertragsfreiheit kann dies keine Pflichtverletzung sein; sonst würden diese zentralen Grundlagen des Zivilrechts ausgehebelt.

  1. GoA, §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB

Eine Geschäftsbesorgung wird weit ausgelegt und liegt hier in der Erbenermittlung vor. Fremd ist sie, wenn sie in fremdem Rechts- und Interessenkreis liegt. Wir diskutierten, dass ein sog. auch-fremdes Geschäft vorliegt, da E nicht nur die Erben des J ermitteln, sondern auch Gewinn erwirtschaften wollte. Der Prüfer fragte, warum die Unterscheidung zwischen einem fremden und auch-fremden Geschäft von Bedeutung ist. Wir sagten, die Unterscheidung sei deshalb wichtig, weil beim fremden Geschäft der Fremdgeschäftsführungswille vermutet wird und diese Vermutung beim auch-fremden Geschäft umstritten ist. Nach der herrschenden Meinung werde aber auch beim auchfremden Geschäft der Fremdgeschäftsführungswille vermutet, damit die GoA ihrer Aufgabe, nämlich für einen fairen Interessenausgleich zu sorgen, gerecht werden kann. Wir vermuteten den Fremdgeschäftsführungswillen. Ein Auftrag oder eine sonstige Berechtigung liegt nicht vor. Die Voraussetzungen des § 683 S. 1 müssen vorliegen. Die Geschäftsführung muss im Interesse der T liegen. Dies bestimmt sich nach der objektiven Nützlichkeit der Geschäftsführung für die T. Sie ist für sie objektiv nützlich und liegt daher in ihrem Interesse.

Sie muss auch im wirklichen Willen der T liegen. Hier ist auf den Zeitpunkt der Geschäftsführung abzustellen, nicht auf den Zeitpunkt, in dem T mit Schreiben vom 4. Mai die Zahlung abgelehnt hat. Im Zeitpunkt der Geschäftsführung durch E kennen wir den wirklichen Willen der T nicht, sodass auf ihren mutmaßlichen Willen abgestellt werden muss. Diesen bejahten wir, weil die Geschäftsführung in ihrem Interesse liegt.

Ein Aufwendungsersatzanspruch liegt grundsätzlich vor.

Der Prüfer fragte, ob nach GoA auch eine Arbeitszeitvergütung verlangt werden kann. Wir nannten den § 1835 III BGB analog. Auf den Streit wollte er nicht hinaus. Er freute sich, diese Norm zu hören.

Der Prüfer fragte abschließend, ob dieses Ergebnis gewollt sein kann. Wir sagten, es kann nicht gewollt sein, jemandem gegen seinen ausdrücklichen Willen eine Zahlungsverpflichtung aus GoA aufzuerlegen. Der Prüfer wollte hören, gegen welchen zivilrechtlichen Grundsatz dies verstoße. Dies läuft der Vertragsfreiheit zuwider.

Er fragte zuletzt, ob es denn gewollt sein kann, dass E auf eigenes Risiko tätig wurde. Wir sollten „unter Berücksichtigung der Risikoverteilung des BGB argumentieren“. Die Frage klang zunächst schwierig, er wollte aber nur hören, dass nach dem BGB grundsätzlich derjenige das Risiko der Bezahlung trägt, der leisten muss. Insofern stimmte diese Überlegung mit unserem abschließenden Ergebnis, dass E keinen Zahlungsanspruch gegen T hat, überein.

Damit war unsere Zivilrechtsprüfung nach 30 Minuten bei drei Kandidaten beendet. Die Zeit verging wirklich wie im Fluge und der Prüfer führte und so ruhig und souverän durch den Fall, dass ich die Prüfung durchaus als angenehm empfand.

Viel Erfolg für eure Mündliche!!!

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