Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem Ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW vom Juni 2017. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsgespräch:
Der Prüfer begann die Prüfung mit seinem üblichen Satz: „Um protokollfest zu bleiben, beginnen wir auch heute mit ein bisschen Rechtsgeschichte!“
Die erste Frage an K1 lautete: Welche obersten Gerichte kennen Sie? K1 antwortete mit dem BVerfG.
Das war falsch, denn es nimmt eine Sonderstellung ein, die unabhängig von den Instanzen ist – ein Sonderrechtsweg. Richtig ist: Bundesgerichtshof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialrecht, Bundesfinanzhof und Bundesverwaltungsgericht. Er wollte dann wissen, was oberste Gerichte ausmacht. Antwort: Es handelt sich um letztinstanzliche Gerichte. Dann stellte der Prüfer K2 die Frage, was denn das Besondere am Bundesfinanzhof sei. Er wollte darauf hinaus, dass es in der Finanz-Gerichtsbarkeit nur zwei Instanzen gibt, das Finanzgericht und den Finanzgerichtshof. Das wusste keiner von uns, jedoch hat uns der Prüfer mit seiner Fragestellung auf die richtige Antwort geradezu gestoßen. Dann stellte er den Zusammenhang zur Geschichte her. Er wollte wissen, was es früher für oberste Gerichte gab. Zum Beispiel das Reichskammergericht von 1495. Dann wollte er wissen, ob es auch eine Gerichtsordnung gab und wie diese hieß. Es gab die Reichsjustizgesetze von 1878. Nach einigen weiteren Fragen, an die ich mich leider nicht mehr erinnern kann, beendete er den geschichtlichen Teil der Prüfung.
Ich habe mich zwar auf Verfassungsgeschichte umfassend vorbereitet, aber es hat mir in der Prüfung nicht wirklich was gebracht, da die meisten Fragen sehr speziell waren. Der Prüfer betonte am Ende bei der Notenvergabe aber, dass das Nichtwissen im geschichtlichen Teil nicht negativ bewertet wurde. Ein richtiges Beantworten wurde nur positiv bewertet.
Dann kamen wir zum Hauptteil der Prüfung:
Ein Passagierflugzeug mit 300 Personen an Bord wird von Terroristen entführt. Die Terroristen steuern auf ein Atomkraftwerk an, mit dem sie kollidieren wollen. Im Falle einer Kollision und der Explosion würden ca. 3 Millionen Menschen sterben. Das Passagierflugzeug könnte von Bundeswehrsoldaten abgeschossen und so eine Kollision vermieden werden.
Der Prüfer wollte nun, dass wir einfach anfangen zu überlegen, was problematisch ist und welche Rechtsgüter betroffen sein könnten.
Das Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG und die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG der Passagiere. Auf der anderen Seite das Recht auf Leben und die Menschen der restlichen Bevölkerung. Auch die Umwelt sowie das Eigentum sind betroffen.
Der Prüfer wollte darauf hinaus, dass hier Verfassungsrecht gegen Verfassungsrecht steht. Wie bringt man das in Einklang? Durch praktische Konkordanz. Er wollte wissen, wie praktische Konkordanz definiert ist. Dieses Prinzip wird insbesondere zwischen Grundrechtträgern bei einer Kollision eines Grundrechts mit einem anderen Grundrecht angewendet. Dabei darf nicht eines der Grundrechte auf Kosten des anderen im Sinne einer vorschnellen Güterabwägung realisiert werden. Vielmehr stellt nach Hesse das Prinzip der Einheit der Verfassung die Aufgabe einer simultanen Optimierung beider Rechtspositionen (wobei dies nicht die von uns gebrachte Antwort war).
Der Prüfer wollte dann wissen, ob sich etwas ändert, wenn nur die Terroristen an Board wären und wenn ja, was sich ändert. Es wäre nicht die gleiche Situation, da die Terroristen nicht Unbeteiligte wie die Passagiere wären. Der Abschuss wäre unproblematisch im Wege der Gefahrenabwehr möglich.
Dann wollte er wissen, wer in Deutschland für die Gefahrenabwehr zuständig ist. Die Polizei. Hier in unserem Fall sollte der Abschuss aber durch die Bundeswehr durchgeführt werden.
Ist das zulässig? Die Bundeswehr ist grundsätzlich nicht im Inland zuständig, das ist allein die Polizei. Hier haben wir aber einen Fall der Amtshilfe.
Dann ging der Prüfer genauer darauf ein, wie das Verfahren bei einer Amtshilfe abläuft. Auch wollte er darauf hinaus, dass die Soldaten zunächst Alternativen zum Abschuss suchen müssten (mildere Mittel im Rahmen der Verhältnismäßigkeit).
Nach dem kurzen Exkurs sollten wir Argumente finden, die für einen Abschuss sprechen. Ich brachte das Argument, dass für einen Abschuss sprechen könnte, dass die Passagiere im Flugzeug so oder so sterben werden – entweder durch den Abschuss oder aber durch die Kollision mit dem Atomkraftwerk. Mit diesem Argument zeigte sich der Prüfer zufrieden und wollte die weitere Diskussion darauf aufbauen.
Dann kam der Prüfer indirekt zu den Funktionen von Grundrechten. Er wollte hören, dass den Staat Schutzpflichten gegenüber seinen Bürgern treffen. Wir arbeiteten heraus, dass diese Schutzpflichten für einen Abschuss sprechen könnten.
Zur Objekttheorie im Rahmen des Art. 1 GG wollte der Prüfer nichts hören.
Die Prüfung war dann beendet.