Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im März 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsthemen: Öffentliches Recht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat | 1 | 2 | 3 | 4 |
Vorpunkte | 60 | – | – | – |
Zivilrecht | 11 | – | – | – |
Strafrecht | 11 | – | – | – |
Öffentliches Recht | 11 | – | – | – |
Endpunkte | 105 | – | – | – |
Endnote | 10,5 | 9,5 | 6,3 | 5,7 |
Zur Sache:
Prüfungsthemen: Anfechtungsklage, Ermessen, Grundrechte
Paragraphen: §46 StVO
Prüfungsgespräch: Frage-Antwort-Diskussion, verfolgt Zwischenthemen, Fragestellung klar
Prüfungsgespräch:
Die Prüfung begann mit der Schilderung des folgenden Falles:
M ist hobbymäßiger Motorradfahrer, hat aber auch ein Auto zur Verfügung. Von einem Unfall sind ihm empfindliche Narben am Kopf zurückgeblieben, die das Tragen eines Motorradhelms unmöglich machen.
Er stellt bei der zuständigen Behörde einen Antrag auf Befreiung von der Helmpflicht. Die Behörde lehnt dies mit Verweis darauf, dass es sich um ein bloßes Privatvergnügen des M handele und diesem ein Auto zur Verfügung stehe ab. M fragt sich, wie er gerichtlich vorgehen kann.
Die Fragen wurde, wenn ich mich recht erinnere, nach keiner bestimmten Reihenfolge an die Prüflinge gerichtet. Die Prüferin fragte zunächst wo die Erteilung einer Befreiung von der Helmpflicht geregelt sein könnte. Ihr genügte ein Verweis auf StVG und StVO und sie wies uns auf § 46 Abs. 1 Nr. 5b iVm § 21a StVO hin. Sie wollte dann wissen, welche Rechtsnatur die StVO habe. Die Antwort, dass es sich um eine Verordnung handele nutzte die Prüferin für Rückfragen, es ging um die Definition der Verordnung und die Unterscheide zu einem formellen Gesetz.
Sodann begannen wir mit der Prüfung der gerichtlichen Möglichkeiten des M und eine Kandidatin begann mit der Erläuterung der Zulässigkeitsvoraussetzungen und er Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. Es gab keine Rückfragen vonseiten der Prüferin.
Im Rahmen der statthaften Klageart schlug eine Kandidatin die Erhebung einer Anfechtungsklage hinsichtlich des Ablehnungsbescheides vor. Die Prüferin löste dies elegant indem sie einen anderen Kandidaten nach seiner Meinung fragte, der darauf hinwies, dass mit der Beseitigung des Ablehnungsbescheids keine Suspendierung von der Helmpflicht erfolge und dem Klagebegehren des M daher vielmehr die Erhebung einer Anfechtungsklage entspräche.
Im übrigen gingen wir in der Zulässigkeit nur noch auf die Klagebefugnis und den Klagegegner ein.
Die Prüferin nahm hier nochmal Rekurs auf die Erörterungen zur StVO und fragte, ob es sich bei der VwGO ebenfalls um eine Verordnung handele. Hier genügte als Antwort ein souveränes „Nein“, die Prüferin ergänzte dann, dass es nicht auf die Bezeichnung einer Norm, sondern auf das Verfahren ankommt, in dem sie beschlossen worden ist.
Im Rahmen der Begründetheit setzten wir uns mit der AGL aus der StVO auseinander und stellten fest, dass die Norm Ausnahmen „im Einzelfall“ vorsieht. Die Norm hat daher keine Tatbestandsvoraussetzungen, sondern stellt die Entscheidung vollständig in das Ermessen der Behörde. Die Prüferin wollte hier abstrakt erörtern, welche Arten von Ermessensfehlern es gäbe. Hier genügte die Nennung der Schlagworte „Ermessensnichtgebrauch“, „Ermessensfehlgebrauch“ und „Ermessensüberschreitung“ jeweils mit kurzer Erläuterung.
Wir stellten fest, dass die Behörde ihre Entscheidung begründet hat und dass dies auf die Vornahme einer Abwägung hindeutet, sodass kein Ermessensnichtgebrauch vorlag. In Betracht kam aber ein Ermessensfehlgebrauch durch mangelhafte Berücksichtigung der Grundrechte des M. In Betracht kam nur die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.
Es ging nun also darum hier tragfähige Argumente für und gegen eine gerechtfertigte Einschränkung dieser Freiheit zu finden, was durch die Berücksichtigung aller Prüflinge recht gut gelang.
Zum Schluss wurde der Fall dahingehend abgewandelt, dass M Angehöriger der Glaubensgemeinschaft der Sikh sei, den ein religiöses Gebot zum Tragen eines Turbans – auch beim Motorradfahren – verpflichte.
Es ging dann darum auch die Abwägung dahingehend abzuwandeln, dass nun die besonders geschützte Religionsfreiheit betroffen war.
Nach dem Austausch einiger Gedanken dazu endete die Prüfung recht rund.