Prüfungsthemen: Zivilrecht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat |
1 |
Note staatl. Teil 1. Examen |
9,1 |
Gesamtnote 1. Examen |
10,5 |
Prüfungsgespräch:
Der Prüfer begann das Prüfungsgespräch, indem er uns mitteilte, dass wir heute eine aktuelle, uns sicherlich bekannte Thematik behandeln werden. Dabei komme es ihm nicht auf das Wissen irgendeiner Rechtsprechung an. Vielmehr wolle er mit uns gemeinsam eine Lösung anhand der Basics erarbeiten. Anschließend schilderte er uns den Fall: Klimaaktivist K klebt sich auf einer Flughafenrollbahn des Flughafens Köln-Bonn fest, um auf die Umweltverschmutzung und den Klimawandel aufmerksam zu machen. Nach drei Stunden wird er von der Polizei weggetragen. Sowohl der Flughafenbetreiber B als auch die Fluggesellschaft F verlangen jeweils Schadensersatz von K. Vor Beginn der eigentlichen Prüfung startete der Prüfer mit einer Masterfrage. Er ging darauf ein, dass ein bekannter Politiker meinte, dass die Klimakleber wohl noch jahrzehntelang für die Schäden aufkommen müssten und wollte wissen, was damit gemeint sei. Er wollte hören, dass, falls ein Ersatzanspruch zu bejahen wäre, so hohe Beträge zu ersetzen wären, dass sie für eine Einzelperson nur schwer in einem Leben möglich wäre zu ersetzen. Außerdem fragte er, welche Möglichkeiten bestünden, um nicht den Rest seines Lebens auf diesem Schaden sitzen zu bleiben. Der Prüfer wollte hier auf das Stichwort der Verbraucherinsolvenz hinaus und deren Ausnahme. Sodann fragte er die erste Kandidatin nach möglichen Anspruchsgrundlagen: § 823 I, § 823 II und § 826 BGB. Er wollte wissen, um was für eine Haftung es sich handelt: Haftung für nachgewiesenes Verschulden. Dann sollte sie damit beginnen, das Schema von § 823 I BGB aufzusagen. Nach der RGV und dem Verletzungsverhalten kamen wir auf die objektive Zurechnung zu sprechen. Ihm war es besonders wichtig herauszustellen, dass diese sich aus der haftungsbegründenden Kausalität (Äquivalenztheorie), Adäquanz und Schutzzweck der Norm zusammensetzt. Die letzten beiden Punkte dienen als Eingrenzung bzw. Haftungskorrektiv der sonst uferlosen Kausalität. Anschließend sollte der Kandidat neben ihr mit dem Prüfungsschema weitermachen: Rechtswidrigkeit, Verschulden, Schaden (Feststellung, obj. Zurechnung, Ersatzfähigkeit). Bei der Rechtsgutsverletzung wurde noch thematisiert, was nicht hierunter fällt: primäre Vermögensschäden. Dies ist eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Generalklausel, anders als beispielsweise in Frankreich (Code Civil von 1804, naturrechtlich geprägt). Hintergrund ist der Entstehungszeitpunkt des BGB. Es trat am 1.01.1900 in Kraft und ist somit ein spätes Kind des Liberalismus. In diesem Zusammenhang sprachen wir noch kurz den Grundsatz an, dass jeder grds. das eigene Risiko trägt (casum sentit dominus). Sodann stiegen wir in die Prüfung von § 823 I BGB ein, wobei wir B und F gleichzeitig abhandelten. Es sollte eine Eigentumsverletzung der F geprüft werden. Der Prüfer wollte zunächst wissen, wo das Eigentum geregelt ist (§ 903 BGB) und was den Gegensatz hierzu bildet (Schuldrecht). Anschließend ging es um einschlägige Fallgruppen der Eigentumsverletzung. Eine Substanzverletzung der Rollbahn war durch das Ankleben nicht gegeben. Denkbar war ein Eigentumsentzug, wobei man zwischen Sach- und Rechtsentzug (z. B. infolge gutgläubigen Erwerbs) differenzieren muss. Dies war hier jedoch nicht relevant. Danach ging es noch um die Fallgruppe der Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit, auch bekannt als Störung der Umweltbeziehung. Der Prüfer wollte wissen, wann dies der Fall sei. Wichtig ist dies nicht mit einer ähnlichen Thematik des allgemeinen Schadensrechts zu verwechseln! Er wollte hören, dass hierfür eine gewisse Intensität erforderlich sei und es sich letztlich um eine Wertungsfrage handele, abhängig vom konkreten Sachverhalt. Abzugrenzen sei dies von dem bloß bestimmungsgemäßen Gebrauch für eine gewisse Zeit. In diesem Zusammenhang gingen wir noch kurz auf den Fleet-Fall ein und das beispielsweise Medicus es genau andersherum als der BGH bzgl. der in ihrer Nutzungsmöglichkeit beeinträchtigten Schiffe sieht. Letztlich sollten wir eine Störung der Umweltbeziehung jedoch ablehnen. Im Ergebnis lehnten wir somit sowohl eine Eigentumsverletzung der F als auch der B ab. Anschließend gingen wir auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht ein. Zunächst wollte er wissen, was hiervon geschützt sei: die gesamte unternehmerische Tätigkeit. Es wurde auch gefragt, wobei es sich dabei handele und was die Besonderheit ist (Rahmenrecht, d. h. positive Feststellung der RW durch umfassende Güter- und Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen). Er fragte auch, wer den Begriff des Rahmenrechts geprägt hat (Wolfgang Fikentscher). Wir gingen auch noch kurz auf den Hintergrund dieses Rechts (Vermögensschutz ist sonst zu eng ausgestaltet im Deliktsrecht) und warum dies zum Teil kritisch gesehen wird (Ersatz des Vermögensschadens durch die Hintertür; stattdessen Ersatz primärer Vermögensschäden nur über § 826 BGB) ein. Allerdings gibt es bei dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eine Einschränkung: der Eingriff muss betriebsbezogen sein. Für B bejahten wir letztlich die Einschlägigkeit des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. Es ist aber auch vertretbar dies anders zu sehen, da nur ein kleiner Teil des Flughafens betroffen ist. Bzgl. F lehnten wir einen Eingriff jedoch ab, da bloß die Nutzung einer fremden Infrastruktur verhindert werde. Allerdings stellte der Prüfer mehrmals fest, dass hier alle Ansichten vertretbar seien, da es sich um Wertungsfragen und eine noch nicht geklärte Problematik handele. Sodann fuhren wir mit der Güter- und Interessenabwägung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit fort. Relevante Aspekte waren unter anderem die Grundrechte des Betreibers (Art. 12, 14 GG) und des K (Art. 5, evtl. Art. 8 (soweit mehrere Klimakleber beteiligt sind)). Hier wurden auch viele Angaben außerhalb des Zivilrechtes (insbes. zum öffentlichen Recht) gemacht. Beispielsweise kamen wir auch auf die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten zu sprechen (Lüth-Entscheidung). Es wurde außerdem danach gefragt, welche Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen. Genannt wurden §§ 228 und 904 BGB und es sollte erklärt werden, worin sich der Defensivfund Aggressivnotstand unterscheiden (Gefahr geht von der Sache aus vs. ungefährliche Sache). § 904 BGB würde wg. S. 2 aber ohnehin nicht weiterhelfen. Wir kamen auch noch kurz auf § 34 StGB (Notstand) und Art. 20a und 20 IV (Widerstandsrecht) GG zu sprechen. In diesem Zusammenhang wollte er auch auf den zivilen Ungehorsam als RFG hinaus und mit uns die Verwerflichkeit gem. § 240 II StGB prüfen. Hierbei protestierte dann jedoch die Strafrechtlerin. Letztlich war eine rechtswidrige Beeinträchtigung zu bejahen. Beim Verschulden wurde kurz die Verschuldensfähigkeit gem. § 828 BGB angesprochen und der Verschuldensmaßstab („Vorsatz oder Fahrlässigkeit“). Die restlichen Prüfungspunkte wurden noch schnell bejaht. Weiter ging es mit § 823 II BGB. Mögliche Schutzgesetze waren §§ 240 und 315b (wobei vermutlich § 315a gemeint war) StGB. Anschließend kamen wir kurz auf § 826 BGB zu sprechen. Was kann hierüber auch ersetzt werden? Ein primärer Vermögensschaden. Der Kandidat prüfte einen Schaden, Sittenwidrigkeit (Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden) und Vorsatz. Bei der Sittenwidrigkeit wurde thematisiert, dass der K zwar aus altruistischen Motiven etc. handele, es aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers sei, dies zu regeln. Zuletzt sprachen wir noch kurz über mögliche Ansprüche der Fluggäste. Denkbar war hier eine Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit. Allerdings wurde dies im Ergebnis wegen der Sozialadäquanz und Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos abgelehnt. Dann wurde die Prüfung auch schon beendet. Es ging sehr schnell vorbei. Viel Erfolg!
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im Mai 2023. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.