Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in NRW im November 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsthemen: Zivilrecht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 |
Vorpunkte | 5 | 7 | 6 | 8 | 6 | 4 |
Zivilrecht | 8 | 11 | 7 | 10 | 8 | 6 |
Strafrecht | 8 | 11 | 7 | 10 | 8 | 6 |
Öffentliches Recht | 8 | 11 | 7 | 10 | 8 | 6 |
Endpunkte | 8 | 11 | 7 | 10 | 8 | 6 |
Endnote | 6 | 9 | 7 | 9 | 7 | 5 |
Prüfungsgespräch:
Die Prüferin hat uns zu Beginn einen Fall diktiert: K möchte Toilettenpapier auf Vorrat bestellen. Dazu wendet er sich am 01.03.2020 an die V-OHG. Er ruft die V-OHG deshalb an. A, der alleinvertretungsberechtigte Gesellschafter erklärt ihm, dass sie Toilettenpapier liefern und sendet ihm ein Bestellformular zu. K kreuzt auf dem Bestellformular 50 Gros Toilettenpapier an. Der Preis pro Rolle liegt bei 0,30 Euro. Das ausgefüllte Formular sendet er per Fax an die V-OHG zurück. A erteilt dem K daraufhin umgehend eine Bestellbestätigung. Wenige Tage später werden dem K 7.200 Rollen Toilettenpapier geliefert. Allerdings dachte K, dass er lediglich 50 große Rollen Toilettenpapier bestellt habe. 50 Gros ist eine allgemein bekannte Einheit für 12 x 12 Rollen = 145 Einheiten. Die VOHG hätte auch nur 50 Rollen liefern können, hätte K dies bestellt. K zahlt die gesamte Lieferung unter Vorbehalt. Er möchte die Angelegenheit am nächsten Tag prüfen. Am nächsten Tag erklärt K dann die Anfechtung für den Teil der Lieferung, der die 50 Rollen überschreitet. Die restlichen 50 Rollen möchte er behalten. Er schämt sich angesichts der Corona Pandemie so viel Toilettenpapier zu behalten und hat sich auch über die Bedeutung des Wortes Gros geirrt. K hat insgesamt 2160 Euro gezahlt. 50 Rollen würden 15 Euro kosten. Kann K die Rückzahlung von 2145 Euro von der VOHG verlangen? I. Anspruch aus Bereicherungsrecht, da Anfechtung: 812 I S.1 Alt 1 BGB: etwas erlangt, durch Leistung, ohne Rechtsgrund Hier wollte die Prüferin genaue Definitionen und eine sehr kleinteilige Prüfung. Der Schwerpunkt lag dann offensichtlich auf dem Prüfungspunkt „ohne rechtlichen Grund“: Angebot und Annahme im Rahmen von § 433 I BGB wurden sehr genau unter die Lupe genommen. Die Zurechnung des OHG-Gesellschafters nach § 125 I HGB war ihr dabei sehr wichtig. Normbezug und genaues zitieren ist erwünscht. Im Rahmen der Zurechnung fragte sie noch nach der gesetzlichen Vertretungsmacht, der Prokura, § 167 und der Anscheins- und Duldungsvollmacht. Sie fragte auch was man unter einer Legaldefinition zu verstehen habe. Dann sind wir näher auf die Anfechtung eingegangen und haben den Erklärungsirrtum vom Inhaltsirrtum in § 119 BGB abgegrenzt. Die Auslegung nach § 133, 157 BGB war ihr hierbei wichtig und die Stichworte unbewusste Divergenz zwischen subjektiv Gewolltem und objektiv Erklärtem.
Anschließend haben wir diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Teilanfechtbarkeit in Betracht kommt. Hier hat die Prüferin Wert auf Kenntnis der Rechtsprechung gelegt. Bei der Rechtsfolge sind wir dann auf §§ 814 und 818 I eingegangen und kamen zu dem Ergebnis, dass hier eine Herausgabe des Auszahlungsanspruches gegen die Bank nur Zug um Zug gegen die restlichen Toilettenpapierrollen möglich ist. Anschließend hat die Prüferin uns eine Abwandlung diktiert: Die V-OHG hatte ursprünglich drei im Handelsregister eingetragene Gesellschafter, A, B und C. Der Kaufvertrag zwischen der V-OHG und K kommt am 02.03.2020 zustande. Am 10.03.2020 scheidet C aus. Dies wird am 12.03.2020 im Handelsregister eingetragen. Am 16.03.2020 erfolgt die Lieferung der 50 Gros Toilettenpapier. Am 17.03.2020 erklärt K die Anfechtung. Hat K einen Rückzahlungsanspruch gegen C? Hierbei sind wir auf § 160 HGB eingegangen. Fraglich war dann welcher Zeitpunkt Rechtsgrundlage wird, da die Anfechtung ja ex tunc wirkt. Nach Rspr. ist auf den ursprünglichen Kaufvertragsabschluss abzustellen, also auf den 02.03.2020. Zum Schluss hat die Prüferin uns gefragt, wie K vorgehen könnte, wenn die V-OHG die Summe nicht zurückzahlt. Das Mahnverfahren zuerst zu nennen, war wegen § 688 II Nr. 2 ZPO falsch. K muss als erstes die Rollen Toilettenpapier zurückgeben. Sodann kommt ein Mahnverfahren oder eine Klage in Betracht. Wir sollten dann noch die sachliche und örtliche Zuständigkeit benennen. Alles in allem prüft die Prüferin die Prüflinge leider nicht sehr ausgeglichen. Der Prüfstoff ist nicht allzu schwer, aber ihre ständigen Unterbrechungen können sehr irritieren. Prüft am besten so detailliert wie möglich und nennt immer die Normen!
Viel Erfolg!