Protokoll der mündlichen Prüfung zum 1. Staatsexamen – Sachsen-Anhalt vom Juli 2021

Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem ersten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Sachsen-Anhalt im Juli 2021. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Öffentliches Recht

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: Klimaschutzgesetz und Urteil des BVerfG hierzu Rechtmäßigkeit von Studiengebühren

Paragraphen: §2 GG, §19a GG

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort, lässt Meldungen zu, Intensivbefragung Einzelner

Prüfungsgespräch:

Der Prüfer startete die Prüfung mit dem Satz: „Wissen Sie, was das BVerfG denn neulich Wegweisendes zum Klimaschutz entschieden hat?“. Daraufhin sammelten wir einige Zeit den Sachverhalt zusammen, gingen also letztlich darauf ein, dass gegen das Klimaschutzgesetz (KSG) der Bundesregierung Verfassungsbeschwerden erhoben wurden, mit der Begründung, dass die Beschwerdeführer sich hierdurch in ihren Grundrechten verletzt sehen. Auch führten wir an, dass die Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg hatten und dass sich das BVerfG im Urteil ausführlich mit der Gegenwärtigkeit der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen sowie Art. 20a GG beschäftigt hat. Es folgten dann aber lange Zeit sehr viele grundrechtsdogmatische Fragen und Überlegungen, bei denen das Urteil mehr als Aufhänger fungierte. So wollte er ausführlich die verschiedenen Dimensionen der Grundrechte erläutert haben. Hier galt es status activus, passivus, negativus herauszuarbeiten und dann generell und mit Blick auf den Fall zu begründen, wieso in woraus Schutzpflichten des Staates erwachsen können (Wortlaut Art. 1 I 2 GG, Untermaßverbot usw.). Danach gingen wir vertieft darauf ein, warum bei Schutzpflichten ein weiter Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (Einschätzungsprärogative) notwendig ist bzw. wie diese begründbar ist. Hier gingen wir auf dessen demokratische Legitimation und die Gewaltenteilung ein. Es ging dann auch darum, dass Basis des KSG ja das Pariser Abkommen ist, und vor diesem Hintergrund, welchen Rang völkerrechtliche Verträge (Art. 59 II 1 GG) und welchen Rang allgemeine Regeln des Völkerrechts in der Normenhierarchie haben (Art. 25 GG). In diesem Zusammenhang wollte er auch auf die völkerrechtsfreundliche Auslegung hinaus. Auch hatte er uns zu Art. 20a GG befragt und wollte wissen, ob dies denn ein Grundrecht sei (nein, Staatszielbestimmung; auch die Systematik [der Abschnitt] spricht dagegen).
Weiter haben wir uns mit der Gegenwärtigkeit der möglichen Grundrechtsverletzungen beschäftigt und sind hier auf die Argumentation des BVerfG eingegangen. Hier galt es (denke ich) insbesondere auf die potenzielle Irreversibilität der drohenden Schäden einzugehen, worin schon jetzt Grundrechtsverletzungen liegen könnten. Hierauf gingen wir aber im prozessualen Kontext zur Verfassungsbeschwerde ein.
Dann hat er gefragt, ob es denn überzeugend sei, schon jetzt eine Grundrechtsverletzung anzunehmen, mit der Begründung, dass die Klimaschutzmaßnahmen in den nächsten Jahrzehnten potenziell Grundrechtsverletzungen in allen Freiheitsrechten darstellen würden. Ich wusste nicht so wirklich, worauf er hinauswollte, kam dann aber darauf, dass es ja in gewisser Weise widersprüchlich sei, Grundrechtsverletzungen mit dem Nachkommen einer grundrechtlichen Pflicht zu begründen. Das schien ihm dann endlich und zum Glück zu gefallen, wenngleich ich nicht sicher bin, ob er genau darauf hinauswollte.
Danach hat er noch einmal das Thema komplett gewechselt und kam auf die aktuelle Lage an der Uni Halle und die prekäre Finanzlage zu sprechen. Er bettete dies ungefähr in den folgenden, von ihm in zwei drei Sätzen frei formulierten Fall ein:
Das Land Sachsen-Anhalt erlässt ein Gesetz, nach dem ab dem Wintersemester 2021/2022 Studiengebühren (ich glaube in Höhe von 600€ pro Semester) festgesetzt werden. Gleichzeitig sichert das Gesetz jedem Studierenden einen Anspruch auf einen staatlich finanzierten Kredit. Prüfen Sie die Rechtmäßigkeit des Gesetzes.
Wir hielten uns dann erst einmal nur bei den Gesetzgebungszuständigkeiten auf. Hier gab er einem die Gelegenheit, generell die Systematik der Art. 70ff. GG zu erläutern. Dies nahm einige Zeit in Anspruch. Wir einigten uns darauf, dass dem Bund nirgends die Gesetzgebungskompetenz verliehen wurde und das Gesetz auch im Übrigen formell rechtmäßig war. Anschließend kamen wir im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit ausschließlich auf eine mögliche Verletzung von Art. 12 I GG zu sprechen. Hier galt es die Berufsfreiheit in ihrem Schutzbereich zu definieren und festzustellen, dass auch die Ausbildung bzw. deren Zugang davon umfasst ist. Beim Eingriff gingen wir auf den klassischen und anschließend auf den modernen Eingriffsbegriff ein, erklärten diese und gingen noch kurz auf die berufsregelnde Tendenz ein. Letztlich nahmen wir einen Eingriff an und kamen dann im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ausführlich auf die Drei-Stufen-Theorie des BVerfG zu sprechen, prüften dann aber aus Zeitgründen die Verhältnismäßigkeit nicht ganz fertig.
Zum Schluss wollte er noch schnell wissen, wie man sich denn prozessual gegen einen auf dem Gesetz beruhenden Bescheid einer Behörde wehren könnte (Anfechtungsklage reichte ihm schon), bevor er die Prüfung mit der Bonusfrage, die wir nicht wissen mussten, nämlich ob bezüglich des Hochschulzugangs völkerrechtliche Verträge bestünden, beendete. Obwohl der Prüfer so etwas öfters zu machen scheint und ich mir deshalb die wichtigsten völkerrechtlichen Verträge angeschaut hatte, waren mir die beiden Verträge nicht bekannt und ich erinnere mich auch nicht mehr an sie.