Bei den nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Baden-Württemberg im April 2020. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsthemen: Öffentliches Recht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat | 1 |
Vorpunkte | 9,27 |
Aktenvortrag | 9 |
Prüfungsgespräch | 12 |
Wahlfach | 14 |
Endnote | 10,08 |
Endnote (1. Examen) | 11,41 |
Prüfungsgespräch:
Der Prüfer teilte uns die Corona-Verordnung des Landes Ba-Württemberg vom 17. März 2020 nebst eines Auszuges aus dem IfSG (§§ 28-32) aus und teilte mit, er wolle die Verordnung zum Prüfungsgegenstand machen.
Als erstes fragte er allgemein nach dem statthaften Rechtsbehelf eines Friseurs / Gastwirt etc., dessen Betrieb zum Infektionsschutz schließen muss, gegen die Verordnung (Normenkontrolle gem. § 47 I Nr. 2 VwGO i. V. m. § 4 AGVwGO). Dann wollte er wissen, welche Rechtschutzmöglichkeiten noch bestehen (Anfechtungsklage, nachdem aufgrund der Verordnung ein VA ergangen ist). Zudem fragte der Prüfer, wie denn gegen einen (untechnisch gesprochen) „Erlass“ einer Gemeinde vorgegangen werden könne. Der Erlass ist eine Allgemeinverfügung gem. § 35 LVwVfG, daher ist wiederum die Anfechtungsklage statthaft. Weiterhin wollte er die statthaften Eilrechtschutzmöglichkeiten wissen („das [Hauptsacheverfahren] dauert ja so lange, was raten Sie als Anwalt ihrem Mandanten?“) Diese sind im ersten Fall § 47 Abs. 6 VwGO, ansonsten § 80 VwGO.
Sodann wandten wir uns näher der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vor. Hier wollte der Prüfer zunächst hören, welches das Pendant vor dem BVerfG ist (einstweilige Anordnung gem. § 31 BVerfGG, Wortlaut der Vorschrift ähnlich). Die Zulässigkeit des Antrages nach § 47 Abs. 6 VwGO wurde nur kurz geprüft. Wir thematisierten die Antragsbefugnis (mögliche Verletzung von Art. 12 GG). Ich sprach noch kurz an, dass man daran denken könne, das Rechtschutzbedürfnis daran scheitern zu lassen, dass stattdessen gegen einen aufgrund der VO ergangenen VA vorgegangen werden musste, verneinte dies aber mangels Zumutbarkeit (Verbot der VO wohl zumindest bußgeldbewährt), was ihm gefiel.
In der Begründetheit legte der Prüfer sehr großen Wert auf den Prüfungsmaßstab. Hier wollte er zwei Schritte hören:
1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Es ist die Rechtmäßigkeit der VO zu überprüfen.
a) Ermächtigungsgrundlage (erforderlich wegen Parlamentsvorbehalt): §§ 32, 28 InfSchG. Diese Normen müssten verfassungsgemäß sein, insbesondere den Anforderungen des Art. 80 GG genügen
(da nannte er uns aber sofort das Ergebnis des VGH, das dies noch der Fall sei). Zudem müsste das Bestimmtheitsgebot gewahrt werden – hier wohl noch (+), da Pandemie erstmalig aufgetreten -> für Übergangszeitraum auch Generalklausel ok. Dann noch Vereinbarkeit der Ermächtigung mit Art. 12 GG.
b) Materielle Rechtmäßigkeit der VO: Verstoß gegen Art. 12 GG? Hier wollte er auf den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heraus („welche übergeordnete Erwägung steckt dahinter?“), was wir aber nicht kapierten. Zwar sehr intensiver Grundrechtseingriff (hier gab es eine besondere Formulierung, die mir nicht mehr einfällt). Wegen Abstufung nach Systemrelevanz von Betrieben
Vhm wohl noch (+). Zudem ist bzgl. Art. 12 das Zitiergebot nach Art. 19 I 2 GG ein Problem (in § 28 IfSG wird Art. 12 GG nicht genannt)
2. Interessenabwägung. Dabei kam es ihm darauf an, dass die Anforderungen sehr hoch sind – höher als bspw. in § 123 VwGO, was wir am unterschiedlichen Wortlaut der Vorschriften (hier: „dringend geboten“) festmachten. Das Außervollzugsinteresse des Antragstellers muss das öffentliche Interesse – hier am Infektionsschutz deutlich überwiegen. Denn – hierauf kam es ihm besonders an – im Erfolgsfall wird nicht nur die Wirksamkeit der VO gegenüber dem Antragsteller, sondern allgemein ausgesetzt.