Prüfungsthemen: Öffentliches Recht
Vorpunkte der Kandidaten
Kandidat |
1 | 2 | 3 | 4 |
Note staatl. Teil 1. Examen |
11,5 |
– | – | – |
Gesamtnote 1. Examen |
12,55 | – | – | – |
Gesamtnote 2. Examen |
12,25 | 8,67 | 12,08 | 8,06 |
Prüfungsgespräch:
Die Prüfung bestand im Wesentlichen aus zwei Abschnitten. Für den ersten Abschnitt knüpfte der Prüfer an unsere Strafrechtsprüfung an. Darin ging es um eine Tierschützerin, die vergeblich versucht hatte, „die Polizei und die Ordnungsbehörden“ zu einem Vorgehen gegen einen Hundehalter wegen Tierschutzverstößen zu bewegen. Zum Einstieg fragte der Prüfer nach dem Unterschied zwischen der Polizei und den Ordnungsbehörden und wollte darauf hinaus, dass es sich auch bei der Polizei um eine Ordnungsbehörde handelt (insofern führten die Regelungen in §§ 1 und 4 ASOG zu etwas Verwirrung). Weiter sollten wir Möglichkeiten aufzeigen, wie die Tierschützerin – abgesehen von ihrer Anfrage bei den Behörden – ein Tätigwerden hätte erreichen können. Dabei wollte der Prüfer nicht nur auf die naheliegenden Vorgehensweisen hinaus (Widerspruch und ggf. anschließende Verpflichtungsklage) sowie auf die Problematik fehlender Widerspruchs-/Klagebefugnis der Tierschützerin. Auch sollten wir die etwas fernliegenden Möglichkeiten von Dienstaufsichtsbeschwerde und Petition in Betracht ziehen. Abschließend sollten wir ein Beispiel dafür nennen, wann die Polizei als besondere Ordnungsbehörde zuständig sei (im Versammlungsrecht) und welche Abteilung hierfür genau zuständig sei (Landeskriminalamt 521). Im zweiten Abschnitt schwenkte der Prüfer auf das Baurecht um. Zunächst schilderte er den Fall eines Bauherrn, der aufgrund einer erteilten Baugenehmigung ein neues Dach errichtet. Wir sollten erörtern, wie ein Nachbar gegen ein solches Vorhaben vorgehen kann (im Wege der Drittanfechtung und insbesondere des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a VwGO) und welche bauordnungsrechtlichen Vorgaben typischerweise Drittschutz entfalten (Abstandsflächen).
Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang der Hinweis auf § 212a Abs. 1 BauGB. Anschließend sollten wir davon ausgehen, dass die Baubehörde die Baugenehmigung auf den Widerspruch des Nachbarn hin mit zusätzlichen Vorgaben zu Lasten des Bauherrn versieht. Nun war auf die besondere Konstellation des § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO einzugehen. Zum Abschluss griff der Prüfer dann auf einen weiteren baurechtlichen Fall zurück, der bereits aus den vorigen Protokollen bekannt war: Ein Bauherr errichtet einen Bungalow im Außenbereich. Im Ausgangspunkt war knapp festzustellen, dass es sich bei einem solchen Bungalow um ein unzulässiges Vorhaben gem. § 35 BauGB handelt und eine Beseitigungsanordnung nach § 80 S. 1 BauO Bln in Betracht kommt. Gegen eine solche Beseitigungsanordnung erhebt nun der Bauherr Widerspruch, woraufhin die Widerspruchsbehörde die Anordnung um zwei Regelungen ergänzt: Zum einen soll der Bauherr zusätzlich den Keller des Bungalows beseitigen, zum anderen im Anschluss an die Beseitigung eine Renaturierung des Geländes vornehmen. Gefordert war eine Herleitung der Grundlagen über die reformatio in peius sowie eine Anwendung der Grundsätze auf den Fall. Dem Prüfer kam es vor allem darauf an, zwischen den beiden zusätzlichen Maßnahmen zu differenzieren: die Beseitigung des Kellers stellt eine quantitative Intensivierung der ursprünglichen Anordnung dar (ein Fall der reformatio in peius); bei den Renaturierungsmaßnahmen hingegen handelt es sich um eine qualitativ eigenständige Regelung, die über den Prüfungsumfang der Widerspruchsbehörde hinausgeht (ein neuer Verwaltungsakt). Abschließend besprachen wir die Möglichkeit, gegen beide Regelungen im Wege einer einheitlichen Klage vorzugehen. Zunächst muss der Bauherr hinsichtlich des neuen Verwaltungsakts kein erneutes Vorverfahren anstrengen (Argument aus § 68 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 VwGO). Die eigentliche Rechtsfrage stellte sich jedoch im Rahmen der Voraussetzungen für eine Klagehäufung nach § 44 VwGO. Danach müssen sich die Klagebegehren gegen denselben Beklagten richten. In Berlin besteht aufgrund der Identität von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde kein Problem (Beklagter ist in beiden Fällen das Land Berlin). Wir sollten hingegen unterstellen, dass sich der Fall in einem Flächenbundesland wie Brandenburg ereignet. Zu erkennen war, dass nun verschiedene Rechtsträger beklagt sind (Gemeinde und Landkreis) und das Gericht eine Verfahrenstrennung gem. § 93 VwGO vornehmen würde. Insgesamt eine Prüfung, die gerade zu Beginn etwas stockte und nicht ganz so flüssig wie die anderen beiden Prüfungsgespräche verlief. Der Prüfer war dennoch ein sehr angenehmer Prüfer, der einen fairen Bewertungsmaßstab anlegte und stets die Gelegenheit gewährte, eigene Ausführungen zu ergänzen, zu überdenken und notfalls zu korrigieren.
Bei den obigen anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin im Februar 2022. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.