Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin im August 2018. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsgespräch:
Im Vertiefungsgespräch nach dem Aktenvortrag stellte der Prüfer einige prozessuale Fragen zum § 80 V VwGO-Verfahren (Im Aktenvortrag kam auch ein 80Ver Verfahren dran). Ich habe bei seinen diesbezüglichen Fragen leider teilweise nicht gleich verstanden worauf er hinauswollte. Er wollte zunächst wissen, welche Erfordernisse an die Begründung i.S.v. § 80 III VwGO zu stellen sind. Dann wollte er wissen woraus sich ergibt, dass Zwangsmittel in Berlin keine aufschiebende Wirkung haben (§ 4 AGVwGO). Daran an schloss sich seine kryptische Frage, warum denn Berlin dies Regeln dürfe. Anderes als ich es zunächst verstand, wollte er hier nicht auf Gesetzgebungskompetenzen hinaus sondern einfach nur auf den Verweis in § 80 II Nr. 3 VwGO. Zudem fragte er, wie bei einer formell rechtswidrigen AOSV zu tenorieren sei, wenn der VA im Übrigen rechtmäßig ist (Aufhebung der AOSV). Schließlich fragte er nach dem Prüfungsmaßstab bei einem 80Ver Antrag bzgl. einer Zwangsmittelandrohung.
In der eigentlichen Prüfung stellte der Prüfer uns einen Fall aus dem Baurecht. Er teilte uns einen Sachverhalt aus, den er dann laut vorliest. Dieser lautete:
A, B und C sind Miteigentümer eines Grundstücks, das darauf stehende Haus ist an M vermietet. Es gibt keinen Bebauungsplan, in der Nachbarschaft befinden sich Einfamilienhäuser, eine Bäckerei etc. Nachbar N, der gegenüber ansässig ist, möchte eine Karosseriewerkstatt/Autolackiererei eröffnen. Hierfür erhält er eine Baugenehmigung. Durch Nebenbestimmungen wird sichergestellt, dass keine schädlichen Umwelteinwirkungen von dem Betrieb ausgehen. Die Bauarbeiten beginnen.
A, B, C, und M möchten dagegen vorgehen. A erhält Ende März von der Behörde eine Kopie der Baugenehmigung mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung an N. B und C, die nunmehr im Ausland leben, erhalten von der Behörde auf telefonische Nachfrage Anfang April Auskunft über die Erteilung der Baugenehmigung.
Im Juli legen A und M, im August B und C Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein. Hierüber wurde bislang noch nicht entschieden.
Fallfrage: Was können A, B, C und M gegen die Baugenehmigung tun?
Wir schlugen vor, Anfechtungsklage zu erheben und gleichzeitig um einstweiligen Rechtsschutz zu ersuchen, da dies effektiver ist. In Betracht kommen Anträge nach § 80a III 2 i.V.m. § 80 V 1 Alt. 1 VwGO oder § 80a III 1 i.V.m. § 80a I Nr. 2 VwGO.
Zur Prüfung der Zulässigkeit:
Verwaltungsrechtsweg unproblematisch
Statthaftigkeit: Baugenehmigung ist ein adressatenbegünstigender drittbelastender VA, Voraussetzungen des § 80a I VwGO liegen mithin vor. Die Widersprüche entfalten wegen § 80 II 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung
Antragsbefugnis § 42 II VwGO analog: Kurze Diskussion möglicher nachbarschützender Normen, Gebietserhaltungsanspruch aus § 34 II BauGB i.V.m. BauNVO oder § 15 BauNVO, hier fliegt M als Mieter raus, da Baurecht nur den Eigentümer schützt (dies war zu begründen)
Rechtsschutzbedürfnis: Offensichtliche Unzulässigkeit der Widersprüche? Diskussion der Verfristung, Prüfung ob eine Bekanntgabe an die einzelnen Beteiligten erfolgte oder ob Frist des § 58 II VwGO läuft, Prüfung der Verwirkung (längere Diskussion über das Zeit- und Umstandsmoment), Problematik des § 80a III 2 VwGO i.V.m. § 80 VI VwGO, Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweis? Kann dahinstehen, da jedenfalls i.S.v. § 80 VI 2 Nr. 2 VwGO Vollstreckung droht.
Der Antrag ist also bzgl. A, B, und C zulässig.
Zur Prüfung der Begründetheit:
Es war festzustellen, dass nur nachbarschützende Normen geprüft werden und keine vollständige Rechtmäßigkeitsprüfung der Baugenehmigung erfolgt. Der Prüfungsmaßstab von § 80 a VwGO besteht in einer summarische Prüfung. Wir prüften einen Gebietserhaltungsanspruch, hier lag ein faktisches allgemeines Wohngebiet nach § 34 II i.V.m. § 4 BauNVO vor. Es war zu subsumieren, ob eine Karosseriewerkstatt ein nicht störender Handwerksbetrieb i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO ist, wohl (-) da typisierende Betrachtungsweise und keine Betrachtung des Einzelfalls mit den Nebenbestimmungen. Angesprochen wurde noch das Gebot der Rücksichtnahme, der Prüfer fragte nach den Voraussetzungen dafür und machte deutlich, dass er nicht von uns verlangte, diese zu kennen.