Protokoll der mündlichen Prüfung zum 2. Staatsexamen – Niedersachsen im Mai 2017

Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Niedersachsen im Mai 2017. Das Protokoll stammt auf dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.

Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.

Prüfungsthemen: Strafrecht

Vorpunkte der Kandidaten

Kandidat 1
Vorpunkte 35
Aktenvortrag 12
Prüfungsgespräch 13
Endnote 6,72
Endnote (1. Examen) 9,1

Zur Sache:

Prüfungsstoff: aktuelle Fälle

Prüfungsthemen: 4 kurze Fälle: Mord, Diebstahl, Diebstahl mit Waffen,

Unselbstständiges BVV

Paragraphen: §211 StGB, §244 StGB, §242 StGB

Prüfungsgespräch: Frage-Antwort Diskussion, verfolgt Zwischenthemen, Fragestellung klar

Prüfungsgespräch:

Revision: Bearbeitungszeitpunkt war zurückdatiert auf Februar 2017 – daher vermute ich, dass der Vortrag schon mal im Examen lief. Sachrügen waren explizit ausgeschlossen.
Begehren: Mandant (Hr. Goldeisen) bittet RA W. um Überprüfung der Erfolgsaussichten der Revision. Mdt. wurde vom AG Hannover – Schöffengericht – zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl mit Waffen verurteilt.

(Anm.: Nicht alle Revisionsgründe waren tatsächlich offensichtlich. Aber im Vermerk des RA stand bereits, dass sich der Verteidiger dafür entschuldigt, dass er der Nachtragsanklage zugestimmt hat.) Sachverhalt: Der Sachverhalt – so wie ihn das AG Hannover festgestellt hat – lautete so:
Mdt. = Industriekaufmann. Er ist nicht vorbestraft. Anfang Juni 2016 ist Mdt. im Elektromarkt in einer TV-Abteilung. Dem Ladendetektiv fällt auf, dass der Mdt. da lange rumsteht. Er geht auf den Mdt. zu und spricht ihn an. Mdt. holt einen schweren Gegenstand aus seiner Tasche und schlägt den Zeugen nieder. Zeuge wird bewusstlos. Mdt. nimmt nichts mit.
Am 06.8.2016 geht der Mdt. wieder in den Elektromarkt. Er hat diesmal einen Revolver Marke Smith & Wesson dabei. Er hat den Revolver griffbereit im Hosenbund. Der gleiche Ladendetektiv (von oben) sieht Mandanten, konnte ihn aber nicht zuordnen. (Mehr war vom SV nicht drin – also auch nicht, was weiter passiert ist).
Aufgrund dessen ermittelt StA Hannover und erhebt im November 2016 Anklage vor dem AG Hannover. Anklagevorwurf: Diebstahl mit Waffen. Am 6.12.2016 erlässt das Gericht einen unveränderten Eröffnungsbeschluss.
Am 2.2.2017 fand die Hauptverhandlung statt vor dem AG – Schöffengericht.
Mdt. erscheint mit Verteidiger.
In der HV sagt die Zeugin Angler aus & machte belastende Angeben. Die Zeugin wurde nicht über ihr ZVR belehrt. Sie gibt an, seit dem 1.2.2017 (also einen Tag vor der HV) mit den Angeklagten verlobt zu sein. Gleichzeitig ist sie noch mit Harry Angler verheiratet, aber Ende der Woche ist der Termin wegen der Scheidung.
Der Ladendetektiv macht auch belastende Angaben. Er sagt, er habe vor der HV den Mdt. an der auffälligen roten Jacke erkannt. Er war derjenige, der im Juni ihn niedergeschlagen habe.
Aufgrund der Aussage des Detektivs lässt StA HV unterbrechen. Nach der Unterbrechung erhebt die StA mündlich eine Nachtragsanklage, die den Formalitäten des § 200 StPO entspricht. Anklagevorwurf: Körperverletzung mit gefährlichem Werkzeug. Der Verteidiger stimmt der Nachtragsanklage zu. Der Mdt. widerspricht.
Weiter wird in der HV ein Revolver in Augenschein genommen. Dieser wurde aufgrund einer Durchsuchung beim Mdt. gefunden. Der Verteidiger widerspricht der Verwertung. Gericht verliest daher im Freibeweis den Durchsuchungsbeschluss des AG Hannover. Im Beschluss steht, dass Durchsuchung angeordnet ist wegen Verdachts auf Diebstahl mit Waffen – der Verdacht ergibt sich aufgrund der polizeilichen Ermittlungen.
Am 2.2.2017 ergeht das o. g. Urteil.
Am 4.2.2017 legt der Verteidiger Revision ein.
Protokoll und Urteil wird ihm am 17.2. zugestellt.
Bearbeitungszeitpunkt: 21.2.2017
Vorschlag: Revi fristwahrend begründen.
Rechtliche Würdigung
Revi erfolgreich, wenn zulässig und begründet I) Zulässigkeit:
Statthaft: Sprungrevi zum OLG, 333, 335 StPO
Frist 341 I 1: 1 Woche (+)
Form, 341 I 1: schriftlich (+)
Beschwer (+), Verurteilung FS
Einlegungsbefugnis (+), 297, kann auch der Verteidiger für den Mdt. machen
II) Begründetheit:
Revi begründet, wenn Verletzung des Rechts, also eine Norm nicht oder nicht richtig angewandt worden ist, 337
1) V. A. w. zu beachtende Verfahrenshindernisse:
(P)Nachtragsanklage, 266 StPO. Möglich, wenn weitere Taten. Taten i.S.d. 264, also Prozessualer Tatbegriff. Hier andere Tat, weil anderes Datum, deutliche Zäsur. Also Nachtragsanklage grundsätzlich richtig. Aber: Verteidiger hat zugestimmt, Mdt. aber widersprochen. Zustimmung des Verteidigers ist aber nur wirksam, wenn Mdt. nicht widerspricht (steht im M/G, 266). Hier hat Mdt. widersprochen. Folge unwirksame Nachtragsanklage. Folge: Unwirksame Nachtragsanklage wirkt wie fehlerhafter Eröffnungsbeschluss. Also Verfahrenshindernis (+)

  1. Eröffnungsbeschluss erging nur durch Vorsitzenden. Nach § 203 StPO muss aber das Gericht –wozu auch die Schöffen gehören – die Nachtragsantrage anordnen. Folge: Revigrund (+)
  2. Verfahrensfehler: Fehler, die auf dem Weg zur Urteilsfindung entstehen können. a) absolute (-)
  3. b) relative?
  4. aa) Aussage Zeugin Angler, ZVR
  • Zeugin wurde nicht über ihr ZVR belehrt.
  • Fehlerhaft, wenn ihr überhaupt ein ZVR zusteht.
  • Verlobte hat gem. 52 I Nr. 1, 1. Alt ein ZVR
  • (P) wirksame Verlobung?
  • Zeugin ist noch verheiratet. Daher verstößt Verlobung gegen die guten Sitten. Im Nachgespräch wurde darauf eingegangen, ob diese Auffassung überhaupt noch zeitgemäß ist. Das ist aber eine Mindermeinung.
  • Letztlich keine Belehrungspflicht -> kein Verfahrensfehler
  • bb) Durchsuchungsbeschluss:
  • Durchsuchungsbeschluss gleicht dem Wortlaut des § 102 StPO. Folge: lässt keine inhaltliche

Einzelfallprüfung erkennen. Also fehlerhafter Beschluss = BEV (+)

  • Aber: Folgt aus dem BEV auch ein BVV? Abwägung! Pro BVV: Grundrechtseingriff, fair Trial. Contra: Hypothetischer Ersatzanordnung, Schwere der Tat, Interesse an Aufklärung
    Sachrügen: waren laut Bearbeiter Vermerk ausgeschlossen.

Zweckmäßigkeit:

  • Revi fristgemäß begründen
  • Revi-Begründungsfrist nach 345 StPO kann noch eingehalten werden.
  • Antrag: … das Urteil des AG- SchöffG – Hannover vom 2.2.2017 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an eine andere Abteilung zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.

Inhaltlich: 4 kurze Fälle:
1. Fall (Beschl. v. 11.10.2016 – 1 StR 462/14)
A und B brechen in einen Wohnwagen ein. Wir gingen gleich auf § 244 StGB ein. Hauptproblem: Ist ein Wohnwagen eine Wohnung? Laut BGH (+), Argument: Eingriff in persönliche Sphäre, da schwere Schockschäden, Unordnung, Personen schlafen dort, daher gleiche Wirkungen, wie bei einem Eingriff in eine Wohnung. BGH leitet noch historisch her: Wohnungseinbruchsdiebstahl wurde aus 243 StGB rausgenommen um Schwere der Tat zu betonen. Dann auch noch Systematisch: in 306a I Nr. 1 ist die Wohnung auch erwähnt.
2. Fall
O ist auf dem Weihnachtsmarkt. Ist betrunken und will nach Hause. O will noch in eine Bank und Geld abholen. Dort stellt er fest, dass sein Handy und Portemonnaie verschwunden ist. Die Videoüberwachung der Bank zeigt, dass der A den O ausgeraubt hat. Es ging nur um die Frage der Verwertbarkeit der Videoaufzeichnungen. Abwägung: Interesse der Strafverfolgung <-> Schwere der Tat. Unterschied der Bewertungen der Videoaufzeichnungen zwischen ÖffR und StR.
3. Fall
(BGH- Entscheidung finde ich nicht, aber ist aus Ende 2016 bzw. Anfang 2017 und in der RÜ abgedruckt)
A und B wollen in eine Wohnung einbrechen. A deponiert ein Brecheisen im Kellerbereich. B weiß davon. Am nächsten Tag brechen beide ein. Das Brecheisen benutzen sie nicht. (P) 250 Abs. 1 = bei sich führen? Zeitraum: Bis zur Vollendung. (P) Griffbereit? BGH hat das bejaht.
4. Fall
A und B wollen die schwangere O töten. Dafür locken sie O in den Wald. A ist der Vater und will keinen Unterhalt zahlen. B will einfach wissen, wie es mal ist.
Was tun Sie, wenn sie die Akten auf dem Tisch haben? Ich habe gleich vorgeschlagen, zu prüfen, ob Angeklagte zu erheben ist. Der Prüfer wollte zunächst die anderen Punkte abklopfen. Also: Zuständigkeit? 112? HP-Termin, 121? Dann Mordmerkmale. Mehr oder weniger alle MM wurden an geprüft. Verhältnis zu 218 (sind wohl beide erfüllt in Tateinheit).

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