Bei dem nachfolgenden anonymisierten Protokollen handelt es sich um eine Original-Mitschrift aus dem zweiten Staatsexamen der Mündlichen Prüfung in Berlin im Februar 2018. Das Protokoll stammt aus dem Fundus des Protokollverleihs Juridicus.de.
Weggelassen wurden die Angaben zum Prüferverhalten. Die Schilderung des Falles und die Lösung beruhen ausschließlich auf der Wahrnehmung des Prüflings.
Prüfungsgespräch:
Der arbeitslose A ist überzeugender Atheist und seit Anfang 2013 Mieter eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks in der brandenburgischen Gemeinde G. Das Grundstück liegt im unbeplanten Innenbereich in einem faktischen Dorfgebiet. In einer Entfernung von 100 zum Grundstück befindet sich die Kirche der katholischen Kirchengemeinde K nebst Glockenturm.
Von diesem erschallt einmal wochentags um 6 Uhr und an Sonn- und Feiertagen um 10 Uhr ein ca. 5-minütiges Glockengeläut, mit dem zum Gottesdienst gerufen wird. Ferner werden die Glocken zum Zeitschlagen eingesetzt. Der Stundenschlag erfolgt jeweils zur Viertelstunde ein-, zwei- oder dreimal. Die volle Stunde wird zunächst mit vier Glockenschlägen angekündigt, darauf folgen die Stundenschläge. Das Glockengeläut überschreitet die Werte der – unterstellt – grds. Anwendbaren TA-Lärm für die Tageszeit um etwa 1 dB(A). Das Zeitschlagen überschreitet die Werte der TALärm für die Nachtzeit um 3 dB(A) liegt aber tagsüber unter den für die Tagzeit vorgesehenen Werten. Der Glockenturm wurde bereits 1890 errichtet. Seitdem wurden die Glocken in der geschilderten Weise bis zum Jahre 1953 und dann wieder seit 1991 eingesetzt.
A fühlt sich durch das Glockengeläut und das Zeitschlagen unzumutbar in seiner Wohn- und Nachtruhe gestört. Die Nachtzeit Ende seiner Auffassung erst, wenn er aufstehe, in der Regel also nicht vor 8 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt seien die Werte der TA-Lärm für die Nachtzeit zugrunde zu legen, die – auch durch das Glockengeläut – erst recht überschritten würden. Auch werde er durch das Glockengeläut und Zeitschlagen in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt, dieses verstoße auch gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung, da es in seine Privatsphäre eindringe. Er werde ferner ungleich behandelt, da andere Kirchengemeinden auf Glockengeläut und Zeitschlagen verzichtet hätten.
A beauftragt sein Rechtsanwalt R Mitte 2017, seine Rechte unmittelbar gegenüber der Kirchengemeinde durchzusetzen. Diese lehnt ein Unterlassen sowohl des Glockengeläuts als auch des Zeitschlagens mit Schreiben vom Oktober 2017 zum einen unter Hinweis auf die hohe Bedeutung sowohl des Glockengeläuts als auch des die Vergänglichkeit des Menschen dokumentierenden Zeitschlagens für ihr religiöses Selbstverständnis und zum anderen mit Blick auf die jahrelange Untätigkeit des A und darauf, dass er nur Mieter sei, ab. A will, dass R nunmehr schnellstens bei örtlich zuständigen VG das Einstellen des Glockengeläuts und Zeitschlagen erreicht.
Variante: Könnte der A sich über Rechtsanwalt R auch gegen die Immissionsschutzbehörde mit einem Antrag wenden, der Kirchengemeinde das Zeitschlagen und Glockengeläut zu untersagen.
Wie könnte er ein Einschreiten der Behörde ggf. gerichtlich durchsetzen?
Fragen:
Der Prüfer fragt zunächst, was R nun tun soll. Er möchte schnellstens das Einstellen des Glockengeläuts erreichen. Daher sei der Eilrechtsschutz einschlägig.
Dann haben wir die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges geprüft, insbesondere ob eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Die Streitigkeit könnte aufgrund des Sachzusammenhangs öffentlich-rechtlichen sein. Dabei muss zwischen Glockengeläut und Zeitschlagen unterschiede werden. Hinsichtlich Zeitschlagen. Bzgl. Glockengeläut besteht öffentlich-rechtlicher Sachzusammenhang, da Ausdruck von Art. 4 GG. Bzgl. Zeitschlagen fehlt öffentlich-rechtlicher Sachzusammenhang, d.h. In diesem Fall ist Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet.
Prüfer: Was tut Gericht dann? Verweis an zuständiges Gericht gemäß § 17a GVG.
Prüfer: K ist Kirchengemeinde kann sich auf Art. 4 GG berufen? Besondere Stellung von Religionsgemeinschaften? Religionsgemeinschaften besondere Stellung nach WRV in Art. 137WRV
Prüfer: Warum gilt Weimarer Reichsverfassung? Durch Verweis in Art. 140 GG
Prüfer: Was sind Glocken? Öffentlich-rechtliche Sachen
Prüfer: Wie öffentlich-rechtlich? Durch Widmung
Prüfer: Anspruch A weiter prüfen.
Statthafte Antragsart, Sicherungsanordnung § 123 Abs. 1 1 VwGO, da A Unterlassen begehrt und in Hauptsache keine Anfechtungsklage statthaft Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog
Abgrenzung Folgenbeseitigungsanspruch und Unterlassungsanspruch → hier: Unterlassungsanspruch
Prüfer: Woraus folgt Unterlassungsanspruch? Grundrechte, § 1004 BGB, Rechtsstaatsprinzip
Prüfer: Was sagt das BVerwG? Gewohnheitsrechtlich anerkannt
Prüfer: Prüfen wir Begründetheit. Was setzte Begründetheit voraus? Anordnungsanspruch, Anordnungsgrund. Prüfer gibt vor Anordnungsgrund erst zu prüfen. Hier wohl (-), da keine Dringlichkeit. A wohnt bereits seit 4 Jahren dort und hat keine rechtlichen Schritte unternommen
Prüfer: Das heißt Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wird abgelehnt. Was kann R dann tun?
Klage; allgemeine Leistungsklage
Prüfer: im übrigen kann man auf einstweiligen Rechtsschutz verweisen. Prüfen wir nun Begründetheit des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs öffentlich-rechtliche Handlung (+), haben wir ja schon festgestellt im Rahmen Eröffnung Verwaltungsrechtsweg
Prüfer: weiteren Voraussetzungen? Eingriff in subjektive Rechte; 22 BimSchG i.V.m. § 3
BimSchG; § 3 legt Maßstab für subjektive Rechte fest
Prüfer: keine Duldungspflicht? Dann ist Eingriff rechtswidrig. Was legt Maßstab fest? TA-Lärm
Prüfer: Was ist TA- Lärm? Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften
Prüfer: Was sind normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften genau und wie wirken sie?
Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften sind Verwaltungsvorschriften, die im Bereich Technik etc. dem Gericht Fachkunde vermitteln und wirken bindend
Prüfer: Wenn Werte TA- Lärm überschritten heißt das sofort, dass schädliche Umwelteinwirkung vorliegt? Weitere Abwägung nötig
Prüfer: Wann sind Tag- und Nachzeiten? Tagzeit 6- 22 Uhr; Nachtzeit 22- 6 Uhr
Prüfer: Wie zu werten, dass Kirche schon dort stand als A hingezogen? Der Prüfer wollte hier den Begriff Vorbelastung hören und wissen welche Auswirkungen das auf Abwägung hat.
Prüfer: Verwirkung des A, weil er schon 4 Jahre dort wohnt? Was ist Verwirkung? Besteht aus Zeit und Umstandsmoment. Zeitmoment ja, aber kein Umstandsmoment, da nur Unterlassen kein Umstandsmoment; kein Umstände die Vertrauen schaffen, dass A sich nicht zur Wehr setzt der Prüfer: Grundrechtseingriffe? A macht neg. Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG geltend. Was ist das? Eingriff? Gab er dann zur Diskussion frei, Rechtfertigung? Schranken? Wie kann Art. 4 GG denn eingeschränkt werden? Keine ausdrücklichen Schranken, daher verfassungsimmanente Schranken; hier: Art. 4 GG der K; praktische Konkordanz zwischen beiden Grundrechten; was ist das?
Prüfer: weitere Grundrechte? Art. 13 GG, aber Schutzbereich schon nicht eröffnet, da kein Eindringen in Wohnung
Prüfer: weiteres Grundrecht? Art. 3 GG; was verlangt Art. 3 GG? Gleiches gleich behandeln; nur gegenüber gleichem Hoheitsträger, dies hier schon problematisch