Hinweis: Einführung zu der Entscheidungsbesprechung: Aufsichtspflicht für radfahrenden Fünfjährigen und Kausalität der Aufsichtspflichtverletzung (vgl. OLG Koblenz in NJW-RR 2012, 274), (OLG Koblenz; Urteil vom 24.08. 2011 − 5 U 433/11). Die Entscheidungsbesprechung wird heute mittag veröffentlicht.
I. Allgemeines
Für den Inhalt der elterlichen Aufsichtspflicht ist entscheidend, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihr Kind zu verhindern.
Die Aufsichtspflicht wird durch die Einsichtsfähigkeit des Kindes sowie die Einflussmöglichkeit auf das Kind bestimmt. Zu berücksichtigen sind z.B. das Alter des Kindes, Eigenart und Charakter des Kindes, die Gefährlichkeit des Spielzeugs, usw. Entscheidende Bedeutung haben andererseits auch das Persönlichkeitsrecht sowie der Entwicklungsfreiraum und der Entwicklungsprozess zur Selbstständigkeit des Aufsichtsbedürftigen. Ob der Aufsichtspflichtige die erforderliche Sorgfalt angewandt hat, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. (vgl. Günter Christian Schwarz/Manfred Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse, 4. Aufl. 2011, § 18. Haftung für vermutetes Verschulden).
Werden im außergeschäftlichen Verkehr durch die Kinder Dritten Schäden zugefügt, so haften die Eltern nach § 832, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzen. Elterliche Sorge entfaltet daher auch in dieser Richtung Drittwirkung (vgl. Nina Dethloff, Familienrecht, 29. Auflage 2009, § 13. Elterliche Sorge Rn 17-18
II. Kinder im Straßenverkehr (vgl. Bamberger/Roth, § 832 BGB, Rn. 28 ff.)
Angesichts der besonderen Gefahren im Straßenverkehr ist eine besonders strenge Aufsichtspflicht gegenüber Kindern selbstverständlich. Dies gilt zum einen hinsichtlich der Belehrung über die Regeln und Gefahren der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr, etwa mit dem Fahrrad, zum anderen hinsichtlich der Vertrautheit des Kindes mit einer Verkehrsstrecke (und der konkreten Verkehrssituation).
Die Intensität der Aufsichtspflicht hängt dabei – wie immer – vom Gefahrenpotenzial ab, insbes von der Art der Verkehrswege und der Gewöhnung der Kinder an den Straßenverkehr (OLG Hamm NZV 1995, 112; OLG Düsseldorf VersR 1992, 1233, 1234; Kasuistik bei Staudinger/Belling Rn 97 ff m.w.N. älterer Rspr).
Ohne besondere Belehrung über die Gefahren und Einweisung in die Regeln des Straßenverkehrs darf Kindern nicht die selbstständige Benutzung eines Fahrrads gestattet werden (KG MDR 1997, 840; AG Radolfzell NJW-RR 2000, 1192, 1993; s dazu auch die Rechtsprechungsübersicht insbes zu den Altersgrenzen bei Bernau DAR 2008, 286 ff). Hat aber ein sechsjähriger genügend Erfahrung und Übung im Radfahren, kann er in vertrauter Umgebung auch ohne Begleitung Fahrrad fahren (OLG Celle NJW-RR 1988, 216; ebenso LG Berlin NJW 1999, 2906; AG Wetzlar VersR 2006, 1271), so muss auch einem Fünfjährigen das Fahrradfahren in reinen Anwohnerstraßen nicht generell verboten werden (OLG Hamm VersR 2001, 386), anders verhält es sich hingegen wenn mit unbekannten Situationen oder unbekannter Umgebung gerechnet werden muss (BGH NJW-RR 1987, 1430, 1431), etwa in einer Fußgängerzone (AG Radolfzell NJW-RR 2000, 1192, 1193).
Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Gesetzgeber mit dem in § 2 V 1 StVO enthaltenen Gebot für Kinder unter acht Jahren, den Gehweg zum Fahrradfahren zu benutzen, bewusst eine Gefährdung anderer Personen in Kauf genommen hat (BGH NJW-RR 1987, 1430, 1431; s auch LG Mönchengladbach NJW-RR 2003, 1604). Bei kleineren Kindern genügt es, wenn das Fahrrad Stützräder aufweist und der Aufsichtspflichtige in ausreichender Nähe ist, um eingreifen zu können (LG Mönchengladbach NJW-RR 2003, 1604; LG München I VersR 2000, 1022).
Veröffentlicht in der Zeitschriftenauswertung (ZA) April 2012